The Walking Dead: Roman (German Edition)
lachen. Das Lachen wirkt ansteckend, und die anderen fangen jetzt ebenfalls an.
Bald sind alle außer Rand und Band – selbst Brian –, und zum ersten Mal seit dem Beginn dieses schrecklichen Albtraums ist es ein echtes, wirkliches Lachen. Einen Moment lang ist es wie eine Befreiung von dem Düsteren und unheimlich Zerbrechlichen, das in allen von ihnen lauert.
In der Nacht halten sie Wache und schlafen nur abwechselnd. Jeder bekommt sein eigenes Zimmer im ersten Stock. Die zurückgebliebenen Gegenstände der ehemaligen Bewohner wirken dabei wie unheimliche Objekte aus einem Museum: ein Nachttisch mit einem halbvollen Glas Wasser, ein John-Grisham-Roman, der nie zu Ende gelesen wird, zwei Pompons für eine Cheerleaderin über dem Himmelbett in einem Mädchenzimmer.
Den Großteil der Nacht sitzt Philip im Wohnzimmer im Erdgeschoss und wacht über das Haus. Neben ihm auf einem Beistelltisch liegt seine Pistole. Penny befindet sich unter mehreren Decken auf dem großen Sofa neben seinem Stuhl. Sie versucht vergeblich einzuschlafen. Gegen drei Uhr morgens, als Philips gequälte Gedanken immer wieder zu dem unheilvollen Unfall seiner Frau zurückdriften, bemerkt er aus den Augenwinkeln, dass sich Penny noch immer unruhig hin und her wälzt.
Philip lehnt sich zu ihr hin, streicht ihr über die dunklen Haare und flüstert: »Kannst du nicht schlafen?«
Das kleine Mädchen zieht sich die Decke bis zum Kinn und blickt zu ihm auf. Sie schüttelt den Kopf. Das orangefarbene Glühen des Heizlüfters, den Philip neben die Couch gestellt hat, verleiht ihrem blassen Gesicht etwas Engelhaftes. Von draußen trägt der Wind den schrillen Sprechchor aus unentwegtem Stöhnen herein, der trotz des leisen Blasens des Heizlüfters gerade noch wahrzunehmen ist. Er lässt an die Brandung unwirklicher Wellen denken, die auf die Küste treffen.
»Daddy ist bei dir, Schatz. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, beruhigt Philip sie liebevoll und streichelt ihr über die Wange. »Ich werde immer für dich da sein.«
Sie nickt.
Philip schenkt ihr ein Lächeln. Er beugt sich über sie und gibt ihr einen Kuss auf die linke Augenbraue. »Niemand und nichts wird dir etwas antun. Dafür werde ich sorgen.«
Sie nickt erneut. Der kleine Pinguin lugt zwischen ihrem Hals und ihrem Kinn hervor. Sie blickt ihn an und runzelt die Stirn. Dann hebt sie ihn an ihr Ohr, als ob sie ihm zuhören würde, während er ihr ein Geheimnis anvertraut. Danach schaut sie wieder zu ihrem Vater hoch. »Daddy?«
»Ja, mein Schatz?«
»Pinguin möchte etwas wissen.«
»Was denn?«
»Pinguin möchte wissen, ob die Leute krank sind.«
Philip holt tief Luft. »Sag dem Pinguin: Ja, sie sind krank. Die sind viel mehr als nur krank. Und darum haben wir sie … haben wir sie von ihrem Leid erlöst.«
»Daddy?«
»Ja?«
»Pinguin will wissen, ob wir auch krank werden.«
Philip streicht ihr erneut mit der Hand über die Wange. »Nein, meine Kleine. Sag Pinguin, dass wir gesund bleiben. Gesund genug, um Bäume auszureißen.«
Das scheint das Mädchen so weit zu beruhigen, dass es sich von ihrem Vater abwendet und erneut in die Luft zu starren beginnt.
Gegen vier Uhr morgens quält sich ein weiterer unruhiger Geist mit anderen unbeantwortbaren Fragen. Unter einem Haufen Decken, den dünnen Körper lediglich in T-Shirt und Unterhose gehüllt, treibt das Fieber Brian Blake den Schweiß auf die Stirn. Im Zimmer des toten Mädchens dieses Hauses starrt er auf die stuckverzierte Decke und überlegt, ob die Welt wohl so enden soll. War es nicht Rudyard Kipling, der einmal sagte, dass die Welt nicht mit einem Knall, sondern mit Gewimmer untergehen wird? Nein, einen Augenblick … Das war Eliot . S. Eliot. Brian erinnert sich daran, das Thema dieses Gedichts an der Uni behandelt zu haben. Hieß es nicht Die hohlen Männer ? Es war an der Universität von Georgia gewesen, in einem Kurs für vergleichende Literaturwissenschaft im zwanzigsten Jahrhundert. Dieses Studium hatte ihm wirklich verdammt viel gebracht.
Er liegt da und grübelt über seine Misserfolge nach – wie jede Nacht. Doch diesmal mischen sich auch die Eindrücke des Gemetzels hinein, wie schreckliche Bilder aus einem Snuff-Film, die sich in sein Bewusstsein drängen.
Alte Dämonen tauchen wieder auf, vermengen sich mit neuen Ängsten und quälen ihn bis in sein Innerstes: Hätte er etwas tun oder sagen können, um seine Exfrau Jocelyn bei sich zu behalten und sie davon abzubringen, ihm diese ganzen
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