The Walking Dead: Roman (German Edition)
schrecklichen Vorwürfe zu machen, ehe sie ein für alle Mal zurück nach Montego Bay fuhr? Kann man Monster mit einem einzigen Hieb auf den Kopf töten, oder muss man auch das Hirngewebe zerstören? Hätte er etwas tun können – selbst betteln oder sich Geld leihen –, um seinen Musikladen in Athens zu behalten, der einzige seiner Art im Süden, seine grandiose Idee eines Ladens, der ausschließlich Hip-Hop-Künstler mit neu ausgestatteten Plattenspielern, gebrauchten Bassboxen und protzigen Mikros im Stil von Snoop Doggs Bling bediente? Wie schnell wächst die Zahl der unglücklichen Opfer da draußen eigentlich? Handelt es sich um eine luftübertragene Krankheit oder verbreitet sie sich über das Wasser wie der Ebolavirus?
Seine Gedanken drehen sich eine Weile im Kreis, bevor er sich wieder auf das Hier und Jetzt besinnt. Er kann das Gefühl nicht abschütteln, dass sich das siebte Familienmitglied, das hier einmal gewohnt hat, noch immer irgendwo im Haus befindet.
Jetzt, da er Bobby und Nick dazu brachte hierzubleiben, muss er erst recht immer wieder an den Jungen denken. Er nimmt jedes Knarzen, jedes noch so leise Geräusch des Hauses wahr, selbst das Surren der Heizung, wenn sie anspringt. Aus ihm unerfindlichen Gründen ist er sich absolut sicher, dass sich der blonde Junge noch im Haus befindet und wartet, bis … Ja, bis was? Vielleicht wurde der Kleine ja gar nicht angesteckt. Vielleicht schlottert er stattdessen vor Angst in einem Versteck.
Ehe sie zu Bett gingen, bestand Brian noch einmal darauf, dass sie das ganze Haus von oben bis unten durchsuchen. Philip war mitgekommen, den Pickel in einer Hand und eine Taschenlampe in der anderen. Sie hatten jeden Winkel im Keller, jeden Schrank, jede Kammer und sämtliche Abstellkammern kontrolliert. Selbst die Tiefkühltruhe im Keller, die Waschmaschine und den Trockner durchforsteten sie nach unwillkommenen Gästen. Nick und Bobby waren für den Dachboden zuständig und stöberten zwischen Koffern, Kisten und in Kleiderschränken. Philip sah unter jedes Bett und hinter jede Kommode. Obwohl sie nicht das fanden, wonach sie suchten, machten sie doch die eine oder andere nützliche Entdeckung.
Zum einen gab es einen Hundefressnapf im Keller. Doch von einem Hund war weit und breit nichts zu sehen. Außerdem stießen sie in der Werkstatt des Hauses auf eine Reihe überaus nützlicher Elektrowerkzeuge: Stichsägen, Bohrer, Fräsen und sogar eine Nagelpistole. Diese würde sich bestimmt als sehr brauchbar erweisen, wenn sie die Barrikaden bauten. Nicht nur ist sie schneller, als wenn man selbst hämmern muss, sondern auch wesentlich leiser.
Brian fiel noch eine andere Verwendung für die Nagelpistole ein, an die er jetzt wieder denken muss, als er ein Geräusch wahrnimmt, das ihm eine Gänsehaut über den ganzen Körper jagt.
Das Geräusch dringt von oben zu ihm herunter und zwar vom anderen Ende seines Zimmers.
Es kommt vom Dachboden.
Drei
K aum hört Brian das Geräusch, das er sofort als etwas anderes als ein Knarzen des Hauses, als den Wind in den Dachgauben oder als die ratternde Heizung identifiziert, schnellt er mit einem Ruck hoch.
Er legt den Kopf seitlich, um besser hören zu können. Es klingt so, als ob jemand herumkratzen oder als ob ruckartig ein Stück Stoff zerreißen würde. Zuerst will Brian seinem Bruder Bescheid geben. Philip soll das regeln, der kann das. Um Himmels willen, das könnte der Junge sein – oder noch etwas viel Schlimmeres …
Doch plötzlich besinnt sich Brian und reißt sich zusammen. Wenn er jetzt wieder den Schwanz einzieht, so wie immer? Will er wirklich wieder zu seinem Bruder laufen, wie er das immer getan hat? Zu seinem jüngeren Bruder, verdammt noch mal! Der gleiche, dessen Hand Brian jeden Morgen an der Kreuzung halten musste, als sie noch zur Grundschule in Burke County gingen? Nein, zum Teufel. Das muss ein Ende nehmen. Brian will ihm endlich zeigen, dass auch er Eier hat.
Er holt tief Luft, dreht sich um und sucht nach der Taschenlampe, die er neben sich auf den Nachttisch gelegt hat. Nach einigen Sekunden hat er sie ertastet und schaltet sie ein.
Der dünne Lichtstrahl erhellt das dunkle Schlafzimmer und taucht die gegenüberliegende Wand in einen silbrigen Schimmer. Nur du und ich, Justin, denkt Brian und steht auf. Sein Kopf ist klar, die Sinne in Alarmbereitschaft.
Eigentlich fühlt sich Brian in ausgezeichneter Verfassung, vor allem, nachdem er den Plan seines Bruders so aktiv unterstützte.
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