The Walking Dead: Roman (German Edition)
Allein Philips Blick – als ob Brian mehr als nur ein nutzloser Taugenichts wäre – hat ihm neuen Mut gegeben. Jetzt ist es an der Zeit, Philip zu zeigen, dass die Szene in der Küche keine einmalige Geschichte war, sondern dass er sich genauso ins Zeug legen kann wie sein Bruder.
Leise schleicht er in Richtung Tür.
Ehe er das Schlafzimmer verlässt, nimmt er noch den Baseballschläger aus Metall, den er im Zimmer eines der Jungs gefunden hat.
Das Rascheln von oben ist im Gang noch deutlicher zu hören. Brian hält unter dem Zugang zum Dachboden auf dem Treppenabsatz des ersten Stockwerks inne. Die anderen Schlafzimmer entlang des Flurs, hinter deren Türen Bobby Marsh und Nick Parsons schnarchen, liegen am anderen Ende des Treppenabsatzes an der Ostseite. Dort kann man das Geräusch nicht hören. Es bleibt also nur Brian, der sich der Sache annehmen muss.
An der Dachluke hängt eine Schlaufe aus Leder. Brian springt so leise wie möglich hoch und fasst nach ihr. Er zieht daran und öffnet das Schnappschloss zum Dachboden. Eine Leiter erscheint, und Brian zieht sie knarzend bis auf den Treppenabsatz herab, ehe er die Taschenlampe auf das dunkle Loch über sich richtet. Staubkörnchen tanzen durch die Luft. Die Dunkelheit ist dennoch undurchdringlich und scheint fast alles Licht zu schlucken. Brians Herz fängt heftig zu pochen an.
Du verdammtes Weichei, ermahnt er sich. Beweg deinen Hintern nach oben.
Er klettert eine Sprosse nach der anderen hoch, den Baseballschläger unter dem Arm, in der freien Hand die Taschenlampe. Als er oben ankommt, hält er inne. Er richtet den Lichtstrahl auf einen antiken Schrankkoffer voller alter Aufkleber vom Magnolia Springs State Park.
Jetzt nimmt er den kalten, fauligen Geruch wahr, der hier oben herrscht – eine Mischung aus Moder und Mottenkugeln. Die herbstliche Kälte ist durch die Ritzen gekrochen und hat sich auf dem Dachboden breitgemacht. Kühle Luft berührt sein Gesicht. Da dringt das Rascheln erneut an sein Ohr.
Es scheint ein Stück entfernt zu sein. Brians Kehle ist staubtrocken, als er sich etwas aufrichtet. Das Dach ist derart niedrig, dass er leicht gebückt bleiben muss. Er erzittert in seiner Unterhose und dem T-Shirt. Außerdem reizt ihn ein Husten, doch er unterdrückt ihn so gut er kann.
Einen Moment lang hört das Kratzen auf, ehe es mit erneutem Elan weitergeht. Als ob jemand wütend wäre.
Brian hebt den Baseballschläger und rührt sich nicht vom Fleck. Er erlebt das Gefühl der Angst wieder ganz neu: Wenn man sich beinahe in die Hose macht, zittert man nicht, wie es die Schauspieler in den Filmen tun. Nein, man bewegt sich überhaupt nicht. Wie ein Tier, das die Nackenhaare aufstellt.
Das Zittern kommt erst danach.
Der Strahl der Taschenlampe wandert langsam durch die dunklen Ecken des Dachbodens über die abgelegten Dinge einer wohlhabenden Familie: ein Trimmfahrrad voller Spinnweben, ein Rudergerät, Koffer, Hanteln, Dreiräder, Kartons voller Kleider, Wasserski, sogar ein Flipperkasten, der von einer dichten Schicht Staub überzogen ist. Da dringt das Kratzen wieder an sein Ohr.
Der Lichtstrahl trifft auf einen Sarg.
Brian hält wie versteinert inne.
Ein Sarg?
Philip bleibt abrupt auf der Treppe stehen, als er bemerkt, dass die Dachluke auf dem Treppenabsatz im ersten Stock offen steht.
Er eilt die restlichen Stufen hoch, wobei seine Füße nur von Socken bedeckt sind. In einer Hand hält er eine Axt, in der anderen eine Taschenlampe. Die Schusswaffe steckt wieder hinten in seiner Jeans. Mit freiem Oberkörper kann man seine sehnigen Muskeln erst recht gut erkennen. Seine Haut schimmert im Mondlicht, das durch die Oberluke fällt.
In Sekundenschnelle hat er den Treppenabsatz erreicht und klettert die Stufen zum Dachgeschoss hoch. Als er oben in der Dunkelheit angekommen ist, sieht er die Silhouette eines Mannes in dem kleinen Raum.
Ehe Philip auch nur die Taschenlampe auf seinen Bruder richtet, ist ihm bereits klar, was hier vor sich geht.
»Das ist eine Sonnenbank«, sagt eine Stimme und lässt Brians Atem vor Schreck stocken. Ihm war das Herz sowieso in die Hose gerutscht, doch jetzt, da er keine drei Meter von dem staubigen, länglichen Kasten entfernt steht, verliert er fast die Beherrschung. Der Deckel der Kiste ist zu, wie bei einer riesigen Muschelschale – und etwas ist im Inneren und kratzt panisch, um herauszukommen.
Brian dreht sich blitzschnell um und erkennt in dem Strahl seiner Taschenlampe das markante,
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