The Walking Dead: Roman (German Edition)
Regierungsgebäude. Es sind so viele, dass es eine Weile dauert, bis die vier das wahre Ausmaß wahrzunehmen vermögen. Jedes Stadium der Verwesung ist vertreten. Sie kriechen aus Häusern, Türen, Fenstern, Gassen, begrünten Parks – aus allen Ecken und Winkeln. Die gesamte Straße ist überfüllt. Die Welle rollt wie ein durchgedrehter Spielzeugzug auf sie zu, angelockt von dem Geräusch des Autos, dem Geruch und der Tatsache, dass Frischfleisch auf sie wartet.
Alt und Jung, Schwarz und Weiß, Männer und Frauen, ehemalige Geschäftsleute, Hausfrauen, Beamte, Zuhälter, Kinder, Verbrecher, Lehrer, Anwälte, Krankenpfleger, Polizisten, Müllmänner und Prostituierte. Jedes Gesicht faulig und zersetzt – wie die in der Sonne verrottenden Früchte einer Obstplantage. Tausende von leblosen, metallisch wirkenden Augen richten sich wie eine Einheit auf den Escalade, Tausende von wild gewordenen Ortungssystemen aus der Urzeit starren hungrig auf die Neuankömmlinge.
Während dieses Augenblicks des totalen Horrors und der Stille wird Philip blitzschnell einiges klar.
Er merkt, dass der verräterische Gestank der Horde durch das offene Fenster, vielleicht sogar durch das Ventilationssystem der Klimaanlage eindringt – dieser widerliche, nach ranzigem Speck und Scheiße stinkende Geruch. Schlimmer noch: Er merkt, dass das merkwürdige Geräusch, das dumpfe Dröhnen, das sie zuvor gehört haben, als er das Fenster herunterließ – das vibrierende Surren in der Luft, als ob eine Million Hochspannungsleitungen unter voller Belastung stünden –, das Geräusch einer Stadt voller Toter gewesen ist.
Ihr kollektives Gestöhne, wie sie jetzt gleich einem einzigen gigantischen Lebewesen auf den Escalade zuströmen, lässt Philip erschauern.
Das alles bringt Philip Blake zu einer Erkenntnis, die ihn mit der Wucht eines Vorschlaghammers trifft. Bei dem Anblick der beinahe träumerisch langsamen Bewegungen der Zombies fällt bei ihm der Groschen: Ihr Vorhaben, ein Flüchtlingscamp in dieser Stadt aufzusuchen, scheint auf einmal so vernünftig zu sein, wie beispielsweise eine Stecknadel in einer Kloake zu suchen.
In diesem Sekundenbruchteil des Horrors, in diesem Moment eingefrorener Stille weiß Philip, dass morgen wohl kaum die Sonne aufgehen wird, die Waisenkinder Waisenkinder bleiben und die Guten diesmal nicht gewinnen.
Ehe er am Schalthebel reißt, wendet er sich zu den anderen um und verkündet mit einer Stimme, die voll Bitterkeit klingt. »Alle, die noch immer das Flüchtlingslager suchen wollen, heben die Hand.«
TEIL 2
Atlanta
Wer mit Ungeheuern kämpft,
mag zusehen, dass er nicht dabei
zum Ungeheuer wird.
Und wenn du lange in einen Abgrund blickst,
blickt der Abgrund auch in dich hinein.
Friedrich Nietzsche
Neun
W enige Autos – zumindest die aus den USA – fahren schnell rückwärts. Zuallererst ist da das Problem mit der Umsetzung. Die meisten Wagen, die von der Fertigungsstraße rollen, ganz gleich ob Van, SUV , Kombi oder Sportler, sind mit fünf oder sechs Vorwärtsgängen, aber nur einem Rückwärtsgang ausgestattet. Zweitens ist die Federung einzig und allein auf das Vorwärts- und nicht das Rückwärtsfahren ausgerichtet. Das bedeutet, dass es dem Fahrer unmöglich gemacht wird, mit Geschwindigkeit rückwärtszupreschen. Und drittens muss man beim Rückwärtsfahren über die Schulter schauen und gleichzeitig lenken. Sollte man es trotzdem schaffen, mit Schwung nach hinten zu fahren, so endet dies meistens mit spektakulären Missgeschicken.
Der Schlitten, den Philip Blake fährt, ist ein Platinum Cadillac Escalade aus dem Jahre 2011 mit Allradantrieb und fein ausgeklügelten Torsionsfedern, sodass der Meistermechaniker Calvin R. Donlevy aus der Greencove Lane so ziemlich alles offroad unternehmen konnte, was das Hinterland von Mittel-Georgia in glücklicheren Zeiten zu bieten hatte. Das Auto wiegt knappe vier Tonnen, ist über fünf Meter lang und rühmt sich eines sogenannten StabiliTrak, eines elektronischen Stabilitätssystems, dem Standard für alle Platinum-Modelle. Am coolsten aber ist die Tatsache, dass es mit einer Kamera zum Rückwärtsfahren ausgestattet ist. Das Bild wird auf einem relativ großen Display wiedergegeben, das in das Armaturenbrett eingebaut ist.
Ohne zu zögern – sein Nervensystem scheint direkt mit seiner rechten Hand verbunden zu sein –, wirft Philip den Rückwärtsgang ein und starrt auf das gelb flackernde Bild auf dem Display vor seinen Augen. Er
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