The Walking Dead: Roman (German Edition)
Fenster an die Wand zu werfen. Seine Stiefel stehen auch nicht mehr da, wo er sie hingestellt hat. Die waren hundertprozentig unter dem Fenster! Wer zum Teufel sollte ihm seine Stiefel wegnehmen? Er ermahnt sich, Ruhe zu bewahren. Es muss eine einfache Erklärung geben. Überhaupt gibt es keinen Grund, sich aufzuregen. Doch dass seine Pistole verschwunden ist, macht ihm Sorgen. Er entschließt sich, nichts zu überstürzen und die Sache Schritt für Schritt anzugehen.
Leise, damit Penny nicht aufwacht, schleicht er durchs Zimmer und schlüpft aus der Tür in den Gang.
Die Wohnung ist still. Brian schläft im Wohnzimmer auf dem ausziehbaren Bett. Philip geht in die Küche und macht den Campingkocher an, um sich aus dem Regenwasser in einem der Eimer einen Kaffee zu machen. Er wäscht sich oberflächlich das Gesicht und versucht, Ruhe zu bewahren und erst einmal tief Luft zu holen.
Mit dem Kaffee in der Hand untersucht er den Rest der Wohnung. Er geht den Gang entlang zu Aprils Schlafzimmer.
Ihre Tür steht offen.
Er späht hinein und sieht, dass das Zimmer leer ist. Sein Puls schlägt schneller.
»Sie ist nicht da«, sagt jemand hinter ihm.
Er dreht sich um. Tara Chalmers steht direkt vor ihm. Sie hat seine Ruger in der Hand und richtet den Lauf auf Philips Kopf.
Fünfzehn
Ä h, Schwester … Immer schön locker bleiben.« Philip bewegt sich nicht vom Fleck, sondern steht wie angefroren da – die eine Hand erhoben, in der anderen den Kaffeebecher. Er hält diese Hand so von sich gestreckt, als ob er den Kaffee anbieten wollte. »Was auch immer los ist, ich bin mir sicher, dass wir darüber reden können.«
»Ehrlich?« Tara Chalmers blickt ihn mit ihrem geschminkten Gesicht finster an. Ihre Augen funkeln. »Das glaubst du wirklich?«
»Hör zu … Ich habe keine Ahnung, was hier vor sich geht, Schwester, aber …«
»Was hier vor sich geht«, unterbricht sie ihn ohne ein Anzeichen von Nervosität oder Angst, »ist Folgendes: Es werden sich ein paar Dinge ändern.«
»Tara. Was auch immer du …«
»Lass mich eines klarstellen.« Ihre Stimme klingt ruhig und emotionslos. »Du hältst jetzt deinen Mund und tust genau das, was ich dir sage, oder ich werde dich wegpusten. Und glaub bloß nicht, dass ich bluffe.«
»Das ist …«
»Weg mit dem Becher.«
Philip gehorcht und stellt den Kaffee langsam auf den Boden. »Okay, Schwester. Wie du willst.«
»Hör auf, mich Schwester zu nennen.«
»Ja, Ma’am.«
»Und jetzt holen wir deinen Bruder, deinen Freund und die Kleine.«
Adrenalin schießt durch Philips Adern. Er glaubt nicht, dass Tara es in sich hat, ihm wirklich wehzutun, und er zieht in Erwägung, sich auf sie zu werfen, um sich seine Waffe zurückzuholen. Immerhin sind es von ihm bis zum Lauf der Ruger nicht einmal zwei Meter. Aber er widersteht der Versuchung. Es ist besser, erst einmal zu gehorchen und sie zum Reden zu bringen.
»Darf ich etwas sagen?«
» SETZ DEINEN HINTERN IN BEWEGUNG !«
Ihr plötzliches Schreien durchschneidet die Stille und ist laut genug, um nicht nur Penny und Brian aufzuwecken, sondern wahrscheinlich auch Nick, der sowieso ein Frühaufsteher ist, im oberen Stockwerk aufzuschrecken. Philip macht einen Schritt auf Tara zu. »Wenn du mir nur eine Chance geben würdest …«
Die Ruger explodiert.
Der Schuss geht daneben – vielleicht absichtlich, vielleicht auch nicht –, und die Kugel schlägt ein Loch in die Wand einen halben Meter über Philips linker Schulter. Der Knall der Pistole hallt in dem winzigen Flur ohrenbetäubend laut wider. Philips Ohren dröhnen. Ein Stück Putz fliegt ihm mit voller Wucht ins Gesicht und bleibt an seiner Wange kleben.
Er kann Tara durch den dichten Rauch kaum ausmachen. Entweder lächelt sie oder schneidet eine Grimasse – schwer zu sagen.
»Der nächste Schuss landet in deinem Gesicht«, hört er sie sagen. »Willst du jetzt ein guter Junge sein oder was?«
Nick Parsons hört den Schuss, kurz nachdem er die Bibel für seine Morgenandacht aufgeschlagen hat. Er sitzt im Bett, den Rücken an das Kopfteil gelehnt, und zuckt bei dem Knall zusammen, wodurch er das Buch fallen lässt. Es war an der Stelle der Johannes-Offenbarung, Kapitel eins, Vers neun aufgeschlagen, wo Johannes verkündet: »Ich, Johannes, euer Bruder, teile mit euch die Bedrängnis und die Hoffnung auf Gottes neue Welt und die Standhaftigkeit, die Jesus uns schenkt.«
Nick springt aus dem Bett und eilt zum Schrank, um sich sein Gewehr zu schnappen,
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