The Walking Dead: Roman (German Edition)
getan hat. Also – was konnte die beiden Frauen so tief verletzen?
Für einen verrückten Augenblick wird Brian zurück in die Vergangenheit katapultiert, zurück zu seiner wahnsinnigen Exfrau. Zwanghaft, explosiv und unzuverlässig, war Jocelyn durchaus imstande, ebenfalls solche Dinge durchzuziehen. Plötzlich war sie für Wochen verschwunden. Einmal, als Brian auf der Abendschule war, warf sie sein ganzes Hab und Gut auf die Treppe vor ihr Mietshaus, als ob sie einen Schmutzfleck aus ihrem Leben wischen wollte. Aber das hier ist anders. Die Chalmers-Frauen haben bisher nicht den Eindruck gemacht, als ob sie irrational oder verrückt wären.
Was Brian am meisten Sorgen macht, ist das Verhalten seines Bruders. Unter der Oberfläche seiner Verärgerung, seiner Wut und Frustration wirkt Philip Blake beinahe hoffnungslos. Das ist ein Hinweis, ein wichtiger Hinweis. Nur dumm, dass er nicht genügend Zeit hat, daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
»Los, dann lasst uns gehen«, verkündet Philip, den Rucksack bereits geschultert. Er trägt seine Jeansjacke – der schwarze, schmierige Schmutz und das getrocknete Blut ihrer ersten Begegnungen mit den Zombies sind noch sichtbar – und geht zur Tür.
»Warte!«, hält Brian ihn auf und wendet sich an Tara. »Lass uns zumindest etwas zu essen mitnehmen. Für Penny.«
Sie wirft ihm einen kalten Blick zu. »Ihr kommt hier lebendig raus. Das reicht.«
»Los, Brian« fordert Philip seinen Bruder unter dem Türrahmen auf. »Es ist vorbei.«
Brian wirft ihm einen Blick zu. Etwas in Philips tief gefurchtem, verwitterten Gesicht rührt Brian. Philip gehört zur Familie. Sie haben viel zusammen durchgemacht und zu viel gemeinsam erlebt, um jetzt auf der Straße wie ausgesetzte Haustiere zu krepieren. Brian verspürt ein ungewohntes Gefühl, das sich in ihm zusammenbraut und ihn mit einer fremden Empfindung erfüllt, die ihm Kraft verleiht. »Gut«, sagt er schließlich. »Wenn es so sein soll …«
Er spricht den Satz nicht zu Ende. Es gibt nichts mehr zu sagen. Er legt einen Arm um Penny und führt sie aus der Wohnung, ihrem Vater hinterher.
Der Regen ist sowohl ein Fluch als auch ein Segen. Er prasselt ihnen ins Gesicht, als sie aus der Tür auf die Straße treten. Aber als sie sich unter einem verkümmerten Baum in der Parkanlage zusammenkauern, um sich zu orientieren, merken sie, dass der Regen auch die Beißer von der Straße gefegt hat. Die Gullys fließen über, die Wassermassen bahnen sich einen Weg über den Teer, und die grauen Wolken hängen tief herab.
Nick schielt nach Süden in die Ferne. Die Straßen sind relativ frei. »Da entlang ist der beste Weg! Da sind die meisten Sicherheitszonen.«
»Alles klar, dann gehen wir nach Süden«, erklärt Philip und wendet sich an Brian. »Kannst du sie wieder auf die Schultern nehmen? Ich zähle auf dich, Kumpel. Pass auf sie auf.«
Brian wischt sich den Regen aus dem Gesicht und streckt dann den Daumen hoch, um sein Einverständnis zu signalisieren.
Er dreht sich zu Penny und erklärt ihr, dass er sie gleich auf seine Schultern heben wird, als er plötzlich innehält und sie ungläubig anstarrt. Auch sie streckt einen Daumen in die Luft. Brian wirft seinem Bruder einen Blick zu. Die beiden bedürfen keiner Worte, um einander zu verstehen.
Penny Blake steht da und wartet. Trotzig streckt sie ihr Kinn in die Höhe. Ihre sanften Augen blinzeln, um den Regen zu vertreiben, und ihr Gesichtsausdruck erinnert an den ihrer Mutter, wenn sie wieder einmal den Unsinn der Männer über sich ergehen lassen musste. Endlich sagt das Mädchen: »Ich bin kein Baby mehr … Können wir jetzt gehen?«
Sie arbeiten sich zur nächsten Ecke vor, wobei sie stets geduckt bleiben. Auf dem glitschigen Bürgersteig rutschen sie immer wieder aus. Der Regen verlangsamt ihr Vorankommen ungemein. Die Tropfen klatschen ihnen ins Gesicht, durchdringen ihre Kleidung und kriechen in ihre Gelenke. Es ist ein eisiger Herbstregen, der keine Anzeichen macht, besser zu werden.
Vor ihnen hat sich eine kleine Horde Zombies an einer Bushaltestelle versammelt. Die klebrigen Haare hängen ihnen wie verfilztes Moos in die verwesten Gesichter. Sie sehen aus, als würden sie auf einen Bus warten, der nie kommen wird.
Philip führt seine Gruppe über eine Kreuzung und sucht unter einem Vordach Schutz. Nick zeigt in Richtung der ersten Sicherheitszone: Der Bus wartet einen halben Häuserblock südlich hinter der Fußgängerbrücke auf sie.
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