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Themba

Themba

Titel: Themba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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nicht erzählt hatte, was mit Mutter geschehen war, und auch nicht vorhatte, das ausgerechnet jetzt in diesem rumpelnden Bus zu tun. Ich räusperte mich und gab den Ball erst mal zurück: »Was weißt du denn über deine Vorfahren?«
    »Ich träume viel«, sagte er, wobei er mich immerzu ansah und jedes seiner Worte deutlich betonte, ohne dabei lauter zu werden. »Letzte Nacht habe ich von einem alten Mann geträumt, der mir irgendwie bekannt vorkam, obwohl ich seinen Namen nicht wusste. Er sprach mich an und sagte: ›Andile, du bist mein Sohn.‹ Und ich antwortete im Traum: ›Unmöglich, mein Vater sieht völlig anders aus!‹ In dem Moment brach ein ungeheures Unwetter mit Blitz und Donner los, und er nahm mich beschützend in den Arm und flüsterte mir zuerst auf Xhosa und dann auf Englisch ins Ohr: › Umfazi uzalela omye … Jeder Mensch hat viele Kinder und alle Kinder haben viele Eltern...‹«
    »Und dann?«
    »Dann bin ich aufgewacht und war ganz nass vom Regen, aber das war nur mein Schweiß. Mein Herz klopfte wie wild, und ich hätte schwören können, dass der Alte noch im Raum war. Aber als ich Licht machte, war alles wie immer. Das Fenster stand offen und draußen bewegte sich kein Blatt am Baum.«
    Andile schaute mir weiter in die Augen, als hoffte er, ich könnte ihm seinen Traum deuten oder wenigstens eine eigene beeindruckende Traumerfahrung mit Vorfahren beisteuern. Aber in meinen Träumen nahm mich niemals jemand in den Arm, schon gar kein alter Mann. In meinen Träumen griffen mich riesige Ungeheuer an, die mit Schwertern und Lanzen auf mich einstachen und vor denen ich mich oft nur mit einem Sprung aus großer Höhe retten konnte. Oder Mutter schrie im Fieber, so wie sie wirklich geschrien hat, als sie noch bei uns daheim war... Sie schrie nach mir und ich konnte nicht zu ihr. Ich war gefesselt mit klebrigen Seilen und Tauen, die mir den Atem nahmen, bis ich endlich aufwachte oder Nomtha mich wachrüttelte.
    Zu Andile sagte ich: »Nomtha glaubt wie du, dass die Vorfahren über uns wachen und uns beschützen…« Beinah hätte ich hinzugefügt: »Ich aber nicht!« Doch ich wollte Andile nicht kränken und hielt den Mund.
    Völlig unerwartet kam seine zweite Frage: »Nomtha ist eine Klassefrau! Wie lange bist du schon mit ihr zusammen?«
    Hatte ich ihm tatsächlich nie erzählt, dass Nomtha meine Schwester ist? Unwillkürlich musste ich lachen. »Nomtha ist einsame Spitze«, bestätigte ich und grinste.
    Auch auf seinem Gesicht zeigte sich nun ein Grinsen, jenes berühmte, unverschämt charmante, mit dem er auf den meisten seiner Fanpostkarten abgebildet ist und bei dem angeblich viele Mädchen innerhalb von Sekunden dahinschmelzen.
    »Ha!«, rief er. »Garantiert auch im Bett, oder?«
    »Überall«, stimmte ich ihm zu, und wir lachten beide. Dann sagte ich ganz ruhig: »Nomtha ist meine Schwester.«
    Zunächst reagierte Andile gar nicht. Er schien angestrengt nachzudenken. Schließlich wandte er sich mir wieder zu und stellte ebenso ruhig seine dritte Frage: »Was bedeutet sie dir?«
    Ich konnte seinem Blick nicht standhalten und schaute auf meiner Seite hinaus auf die dunkle Autobahn. Ich spürte, dass er mich noch immer ansah, und flüsterte mehr, als dass ich sprach: »Sehr viel...«
    Diesmal bohrte Andile nicht nach. Wahrscheinlich hatten die Motorengeräusche meine Antwort übertönt. Es war nicht so, dass ich ihm nicht antworten wollte. Im Gegenteil - nur zu gern hätte ich alles mit ihm geteilt. Mit seinen Fragen nach den Vorfahren und der Liebe hatte er bis in meine tiefste Seele gezielt: Wo komme ich her? Wie lange wird Mutter noch bei uns sein? Und was bedeutet Nomtha für mich wirklich? Mehrfach öffnete ich den Mund, brachte aber kein Wort hervor. Andile schaute eine Weile zu mir, lehnte sich dann jedoch zurück, als nichts von mir kam. Schließlich merkte ich, wie er sich entspannte und sein Kopf langsam gegen meine Schulter sank. Er atmete tief und ruhig, ohne zu schnarchen. Ich saß hellwach neben ihm und beschloss, ihm keine einzige Antwort schuldig zu bleiben. Irgendwann würde ich ihm und mir erklären können, wie alles gekommen war. Auch ich schloss die Augen, überließ mich dem Geschaukel des Busses und sah allmählich deutliche Umrisse vor mir aus dem Dunkel auftauchen …

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