Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
das Gebäude grenzte. Ich hatte mir ausgerechnet, dass ich mir mindestens 120 Jahre lang die Haare würde wachsen lassen müssen, bis er an meinem Zopf zu mir hochklettern konnte – so weit waren wir voneinander entfernt. Dennoch konnte ich die Liebe, die Hoffnung und die Entschlossenheit in seinem Blick deutlich erkennen. Sie machte mir ein ums andere Mal klar, dass unsere Liebe, dass er jede Minute Hausarrest wert war. Ich bereute nichts.
Als ich jedoch erwachte und die Welt unter einer weißen Schneedecke begraben vorfand, befiel mich tiefe Niedergeschlagenheit. Hier drinnen war alles weiß, draußen war alles weiß, nirgendwo konnten sich meine Augen vor dem grellen Nichts ausruhen. Und erst, wenn der Schnee wieder verschwunden war, konnte ich auf eine Flucht hoffen. Ich vergrub mich unter meinem Federbett und blieb den restlichen Tag dort.
Dann kam der Tag, an dem ich zu beten begann.
Zehn Tage überfällig, hatte mein Verstand gleich am Morgen geblökt.
Normalerweise konnte ich nach meiner Monatsblutung fast die Uhr stellen.
„Nein. Unmöglich.“ Ich weigerte mich einfach, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen. „Ich müsste es doch spüren, wenn ich schwanger wäre.“ Jep, ich hatte angefangen, mit mir selbst zu sprechen. In der Isolation geht das ganz schnell.
Wie willst du das spüren? Du spürst nichts außer deinem Herzen. Du hast dich von der Natur abgekapselt und von dir selbst.
Ich versuchte, meinen Verstand zu widerlegen und etwas anderes als mein Herz zu fühlen, aber da war sonst nur Chaos. Und wachsende Panik. „Ich komme ja kaum mit meinem eigenen Leben zurecht. Mit einem weiteren kleinen Leben wäre ich vollkommen überfordert!“
Du wärst nicht lange überfordert. Atalante würde dir das Baby wegnehmen und …
„… und verschwinden lassen, um meine Ehre und mein Ansehen bei den anderen Amazonen zu bewahren, egal ob es ein Mädchen oder ein Junge ist.“ Ein Schauer lief mir über den Rücken. Der Gedanke war nicht zu ertragen.
Also betete ich. Inbrünstig .
Tags drauf erwachte ich mit unendlicher Sehnsucht nach Louis im Herzen. Im Nachthemd lief ich in den Tempelraum, warf mich auf die Knie und flehte Artemis an, mich doch schwanger sein zu lassen. „Ich will nicht allein sein. Ich will zumindest etwas von ihm bei mir haben … Hilf mir. Ich habe soviel geschafft, ich schaffe auch das“, flüsterte ich fieberhaft. „Das Kind kann ich schon irgendwie vor Atalante schützen und wenn ich es durch die Durchreiche schieben muss, um es Polly zu übergeben. Hilf mir!“
Am nächsten Tag hatte ich es mir schon wieder anders überlegt. Die Einsamkeit zermürbte mich und ich zweifelte regelmäßig an meinem Verstand. Aber nie an meinem Herzen.
Artemis ließ sich von meinen widersprüchlichen Gebeten nicht verwirren, falls sie sie überhaupt hörte. Falls sie überhaupt existierte. Nach zwei weiteren Tagen setzte meine Periode ein. Ich saß auf der Toilette und brach in Tränen aus, konnte mich aber nicht entscheiden, ob es Tränen der Erleichterung oder der Trauer waren. Atalantes triumphierenden Blick, als sie die Dose mit den Tampons geöffnet auf dem Fensterbrett im Bad vorfand, ignorierte ich.
Offenbar war mein Zyklus durch den hohen Blutverlust durcheinander geraten. Davon abgesehen hatte ich mich gut erholt. Nur einige schmale, hellrosa Linien, die sich an den Außen- und Innenseiten meiner Arme entlang und quer über meinen Bauch zogen, waren zurückgeblieben, genau wie Deianeira es prophezeit hatte.
Eines Abends rief mich von der Durchreiche aus eine gedämpfte Stimme.
„Polly?“, fragte ich.
„Nein, Padmini.“
„Oh. Hallo! Wie geht’s dir?“
„Gut. Nur …“ Sie zögerte.
„Ist alles in Ordnung mit dem Baby?“
„Ich hoffe. Deswegen bin ich da.“
Ich war verwirrt, denn ich erinnerte mich noch gut daran, wie sie mich während der Geburt ihres letzten Kindes beschimpft hatte, und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was sie jetzt von mir wollte.
„Hm, Ell, du bist doch jetzt eine Hiery und hast sicher einen guten Draht zur Göttin?“
„Äh …“
„Könntest du nicht ein gutes Wort für mich einlegen und sie bitten, dass es diesmal ein Mädchen wird?“
„Äh …“
„Bitte!“
Das klang so dringlich, dass ich wenig überzeugt zustimmte. „Okay, ich werde es versuchen. Ich kann dir aber nichts versprechen.“
„Danke!“
„Aber dazu brauche ich mehr Räucherwerk. Warte kurz.“ Ich eilte in den Tempelraum und
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