Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
verbittert geworden? Noch vor einem halben Jahr war sie davon überzeugt gewesen, dass ich in mein Verderben rannte, nur weil ich mich mit Louis traf. „Egal. Ich sage es ihm trotzdem.“
„Danke.“
„Ich habe Sachen für dich dabei.“ Sie reichte mir nacheinander Wäsche, Stifte, einen Block und ein Buch durch den Schlitz. „Ich glaube, du darfst nichts Unterhaltsames lesen, aber ich habe es dir trotzdem mitgebracht. Versteck es unter deiner Matratze. Das war mein Lieblingsbuch, als ich elf war. Es geht um Pferde und ich dachte, wenn du schon Hekate nicht sehen darfst … “
Gerührt nahm ich es entgegen und bedankte mich. „Kümmerst du dich um sie?“
„Natürlich.“
Es folgten Zahnbürste, Haar- und Hautpflegeprodukte und schließlich eine Metalldose, in der ich meine Tampons aufbewahrte.
„Oh. Ich weiß gar nicht, ob ich die brauche“, sagte ich fast überrascht. Ich hatte nicht mehr über die möglichen Folgen meiner Nacht mit Louis nachgedacht.
„Warum?“, fragte Polly naiv.
„Hm.“
„Wie bitte?“
„Hm.“
„O Artemis.“ Ihre Hand zog sich zurück.
Ich ignorierte den Schmerz in meinen Wunden und legte mich auf den Bauch, um durch die Durchreiche blicken zu können. Polly, die sich ebenfalls hingelegt hatte, sah mich fassungslos an.
„Bist du denn total be–“
„Ja. Bin ich. Ich habe einfach nicht dran gedacht. Es war nach der Schlacht und ich war ziemlich durch den Wind.“
Polly überlegte eine Weile, dann hob sie die Achseln. „Naja, egal. Louis stammt ja von den Clans ab. Dann produzierst du meine Diadoka eben schon jetzt.“
„Hm.“ Obwohl ich Louis in der alten Mühle etwas ganz Ähnliches vorgeschlagen hatte, gehörte das definitiv nicht zu meinem Plan, aber Polly sah mich so pfiffig an, dass ich davon absah, sie auf die offensichtlichen Probleme hinzuweisen.
Ein harscher Ruf ließ uns aufschrecken. „Was ist da los? Hippolyta, stör deine Schwester nicht bei ihrer Andacht.“
„Ich komme wieder“, flüsterte sie noch, dann war sie weg. „Ich habe Ell nur ihre Sachen gebracht“, ertönte es lauter und ihre Schritte entfernten sich.
Eine seltsame Zeit brach an. Die ersten Tage verbrachte ich nur damit, in meinem Schlafzimmer zu sitzen und vor mich hin zu stieren. Als ich die vier Wände nicht mehr sehen konnte, zog ich ins Bad um, aber da hielt ich es nicht lange aus, da es mich zu sehr an Atalantes Bad und die Schrecken, die ich dort erlebt hatte, erinnerte. Schließlich begab ich mich in den eigentlichen Tempelraum und ging dort stundenlang auf und ab. Irgendwann zog ich Bücher aus dem Regal und begann zu lesen. Es war trockenes Zeug, aber besser als nichts, und Pollys Buch hatte ich in der ersten Nacht durch gehabt.
Aus Langeweile machte ich eines Tages Feuer in der Kupferschale und räucherte sämtliche Räume mit der Harzmischung ein, die ich in der Kommode gefunden hatte. Da ich feststellte, dass der Rauch eine höchst entspannende Wirkung auf mich hatte – keine Ahnung, was da drin war –, gefiel ich mir darin, das Ritual jeden Tag durchzuführen. Als ich sah, dass sich die Bestände lichteten, ging ich sparsamer mit dem Weihrauch um. Ich hob ihn mir für die dunkelsten Stunden auf, wenn die Sehnsucht nach Louis so groß wurde, dass ich kaum noch klar denken konnte. Mein Sehnen während der Ginsterernte kam mir inzwischen wie ein Saujagdfest vor.
Bereits am zweiten Tag meines Exils brachte mir Polly Louis' ersten Brief. Obwohl er mir das Kostbarste war, was ich besaß, verbrannte ich ihn unter Tränen im Feuer, nachdem ich ihn ungefähr zwanzigmal gelesen und versucht hatte, mir jedes einzelne Wort einzuprägen. Meine Antwort gab ich meiner Schwester bei ihrem nächsten Besuch mit. Ich schärfte ihr ein, sich bloß nicht erwischen zu lassen, aber sie stellte sich geschickt an, brachte die Briefe manchmal zu Philippa, wo sie via Dante an Louis weitergeleitet wurden, steckte sie Dante oder Louis selbst im Vorübergehen zu oder versteckte sie bei trockenem Wetter unter einem Stein an der Gumpe oder in einer Baumhöhle, Orte die sie wiederum über Dante mit Louis vereinbarte.
Aufgrund der Lage der Tempelräume hatte ich keine Sicht zum Hof hinunter. Doch ich verbrachte Stunden am Fenster, um einen Blick auf Louis zu erhaschen, wenn er außerhalb der Stadtmauer vorbeiritt. Wann immer die Gelegenheit günstig war und uns niemand beobachtete, blieb er stehen und blickte im Schatten des Krankenhauses oder vom Feld aus zu mir auf, das direkt an
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