Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
verspricht, dachte ich und klammerte mich mit aller Kraft am Seil fest. Vorsichtig löste ich mich vom Fensterbrett und begann mit dem Abstieg, wobei ich immer eine Hand vom Seil umwickelt ließ, wenn ich mit der anderen Hand nachgriff. Meine Füße setzte ich behutsam auf der Metallfassade auf, um nur kein Geräusch zu erzeugen, das die Wachen oder meine anderen Schwestern auf mich aufmerksam machen würde.
Hauptsache, du siehst nicht nach unten, bemerkte mein Verstand.
Warum hast du das jetzt gesagt? Jetzt muss ich nach unten schauen.
Lass es einfach.
Kann nicht. Muss.
Mit halbem Auge schielte ich hinab und erkannte nur bodenloses Dunkel.
Könnten jetzt noch zehn Meter sein.
Oder hundert.
Der Vorteil der mondlosen Nacht bestand zwar darin, dass die Wache mich nicht sehen konnte, entpuppte sich jedoch als fragwürdig, da ich selbst kaum sah, was ich tat. Ich orientierte mich also am Gebäude und versuchte, mich zu beeilen, ohne leichtsinnig zu werden. Victoria schwitzte wahrscheinlich aus Angst vor Atalante gerade Blut und Wasser. Relativ schnell passierte ich die leeren Fenster des zweiten Geschosses und hatte die des ersten Stocks gerade hinter mich gebracht, als mich heller Lichtschein aus dem Raum über mir erstarren ließ. Wenn die Amazone, die dort wohnte, jetzt nach draußen sah, würde sie zweifelsohne das Seil entdecken, das sich straff vor ihrem Fenster spannte. Lautlos kletterte ich seitwärts, bis ich es so in Position gebracht hatte, dass es direkt vor dem Fensterrahmen herabhing und zumindest einem beiläufigen Blick verborgen blieb.
Ich drückte mich an die Wand, so nahe ich konnte, ohne den Halt zu verlieren, und wartete klopfenden Herzens ab. Meine Handflächen schmerzten vom krampfhaften Festklammern an den rauen Hanffasern und das Blut pochte in meinen Fingern. Ich war schon soweit, ohne Rücksicht auf Verluste weiterzuklettern, weil ich einfach nicht mehr konnte und alles besser war, als mit zerschmetterten Gliedern im Feld zu liegen, da erlosch das Licht endlich wieder. Ich atmete auf und setzte eilig meinen Weg mit dem letzten Rest Kraft fort, der mir geblieben war. Nun erwartete mich nur noch eine relativ glatte, fensterlose Fläche, dort, wo das Gebäude die Außenmauer bildete. Endlich konnte ich auch die Erde unter mir sehen.
Und dann hatte ich es geschafft – meine Füße berührten wieder festen Boden. Ich bedankte mich mit einem schnellen Stoßgebet bei Artemis und atmete tief durch. Im Augenwinkel bemerkte ich eine Bewegung, aber es war nur das Seil, das rasch nach oben gezogen wurde.
Weiter.
Ich duckte mich und rannte los, Richtung Westen, Richtung Wald, Richtung Louis. Das Gras war noch plattgedrückt von der Last des Schnees und bot mir keinen Sichtschutz, aber dafür raschelte es auch nicht, als ich das Feld überquerte. Im Schutz der ersten Bäume richtete ich mich wieder auf, lief jedoch weiter, ohne eine Pause einzulegen. Ich hatte schon viel zu lang pausiert.
Es war stockdunkel, aber ich kannte den Weg blind. Zweige schlugen mir entgegen, Dornen rissen am Stoff meiner Kleidung und kratzten mir über die Haut, Steine, Wurzeln, Vertiefungen im Boden brachten mich fast zu Fall, in letzter Sekunde wich ich Baumstämmen aus, die aus dem Nichts vor mir auftauchten, aber nichts hielt mich auf. Dann das sanfte Gurgeln des nahen Bachs, Holzplanken unter meinen Füßen, meine eiligen Schritte darauf, zu laut in der Stille …
… Arme die mich aufhielten, fest umschlossen und an die Wärme eines Körpers drückten. Glühende Nähe, die ich nicht mehr gewohnt war und von der ich trotzdem nicht genug kriegen konnte. Ich rang nach Luft, es wurde ein Schluchzen daraus.
„Da bist du ja“, erklang Louis' Stimme leise an meinem Ohr. Seine Hand tastete nach meinem Gesicht, seine Lippen nach den meinen. Mit einem tiefen Atemzug sog ich seinen Geruch ein und unfassbares Glück durchströmte mich, summte überall in mir, als wir uns küssten. Zu oft hatte ich von diesem Moment geträumt und konnte kaum glauben, dass er auf einmal Wirklichkeit geworden sein sollte. Ich strich mit der Hand über Louis' Wange, spürte seinen Atem und das Kratzen seiner Bartstoppeln auf meiner Haut.
Er war wirklich da.
Ich war wirklich da.
Haha und keine wird mich morgen schief ansehen, wenn ich total zerkratzt bin, fuhr mir durch den Kopf. Ein unaufhaltsames Lachen stieg in mir auf, stieß durch die Oberfläche, unterbrach unseren Kuss und schüttelte mich.
Frei. Und doch zu Hause.
„Wir müssen
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