Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
flog hektisch über die abendliche Landschaft. Ich konnte nur den Hufschlag eines Pferdes vernehmen; Marodeure waren so gut wie nie alleine unterwegs. Wo waren die anderen?
„Polly …“, begann ich. Was machte meine Schwester da nur? Ich hörte sie immer noch herumrumoren. Ihr Bogen lag draußen auf der Bank vor dem Haus und ihr Schwert auf der Kommode bei der Tür, direkt neben meinem, kein Grund für geschäftiges Wühlen an der komplett falschen Stelle.
„Ich weiß“, unterbrach sie mich und ich registrierte, dass ihre Stimme sehr viel ruhiger klang, als mir zumute war.
Ich spürte Leder und Metall an meiner Handfläche, sah an mir herab und stellte fest, dass ich das Heft meines Schwertes umklammert hielt. Das Blitzen der Klinge im Abendlicht beruhigte mich ein wenig.
Du bist eine Amazone, sagte das Höhlenweibchen.
Richtig, sagte mein Verstand, und es ist nur einer.
Um mich von der Richtigkeit seiner Aussage zu überzeugen, warf ich einen erneuten schnellen Blick nach draußen und erstarrte. Blinzelte gegen das dunkelorange Licht der Sonne an, bis meine Augen zu tränen begannen. Mein Herz schlug schneller, obwohl ich nicht gedacht hätte, dass das überhaupt möglich war. Der Reiter war so nahe an die Mühle herangekommen, dass ich seine Gestalt nun besser sehen konnte. Dennoch glaubte ich nicht, was ich sah.
Kapitel 8
„Polly“, sagte ich erneut und hielt mich sicherheitshalber am Türrahmen fest, da ich einen Sonnenstich inklusive Wahnvorstellungen immer noch nicht ausschließen wollte.
„Ich weiß“, wiederholte sie schlicht. Und setzte hinzu: „Lauf schon.“
In einer Art konfuser Übersprunghandlung legte ich mein Schwert zuerst ganz ordentlich auf dem Tisch ab, dann trat ich einen zögernden Schritt nach draußen. Machte noch einen. Und noch einen schnelleren.
Fata Morgana, konstatierte mein Verstand, aber ich schenkte ihm keinen Glauben mehr, sondern rannte los.
Die Sonne blendete mich immer noch, aber ich erkannte den Mann, erkannte die vertraute Bewegung, mit der er sich von seinem Pferd schwang, erkannte das Aufblitzen in seinen dunklen Augen und sein Lächeln, als er mich auf sich zulaufen sah. Ich warf mich ihm in die Arme.
„Da bist du ja“, sagte Louis nur und drückte mich an sich.
Sein Hemd stand zwei Knöpfe weit offen und ich legte mein Gesicht an das Dreieck warmer, sonnengebräunter Haut, sog seinen Sommergeruch tief ein, der genau für diesen Ort, für diese Situation gemacht zu sein schien, und klammerte mich an ihn, als wolle ich ihn nie wieder loslassen. Wollte ich auch nicht. Was hätte das gebracht?
„Was machst du hier?“, fragte ich fassungslos, als ich es endlich über mich brachte, ihn zumindest soweit loszulassen, dass ich ihm in die Augen sehen konnte.
„Bin auf der Suche nach der tollsten Amazone der Welt …“
„Wer ist die Tussi?“
„… und hab sie schon gefunden.“
Ich drehte gespielt entrüstet den Kopf, um mich nach dieser angeblich so tollen Frau umzusehen, und erblickte Polly, wie sie gerade aus der Tür kam und zu ihrem Pferd stapfte. Sie hatte einen vollen Rucksack auf dem Rücken und einen der Baumwollsäcke in der Hand, in dem wir die Ginsterblüten gesammelt hatten.
Oh Artemis, Polly ist bestimmt außer sich vor Wut … Eine Welle von schlechtem Gewissen durchfuhr mich, dass ich mich so über Louis' überraschende Ankunft freute, obwohl sie unseren schwesterlich-zweisamen Pseudourlaub zerstörte. Ich warf ihm einen entschuldigenden Blick zu und lief schnell zu ihr. Als ich sie erreichte, war sie schon bei Selanna angelangt. Sie hatte mir den Rücken zugedreht und begonnen, ihr Gepäck festzuzurren.
„Polly, was machst du?“, rief ich entsetzt. „Bleib doch! Es tut mir leid, dass …“ Ich zögerte. Jetzt zu sagen, dass mir Louis' plötzliches Auftauchen leid tat, wäre eine komplette Lüge, das wusste sie genauso gut wie ich. „Bitte sei nicht böse, ich hatte keine Ahnung, dass er hierher kommen würde.“
„Ich weiß“, erwiderte sie ein weiteres Mal. Ihre Stimme klang immer noch so ruhig, verdächtig ruhig, gefährlich ruhig. So musste ich sie interpretieren, auch wenn das eine Eigenschaft war, die ich meiner Schwester nicht zugeschrieben hätte – aber sie war Atalantes Tochter und die Unbeugsame beherrschte die Kunst der gefährlichen Ruhe ausgesprochen gut. Ein kleiner Schreck durchfuhr mich bei diesem Gedanken, den mein Verstand aber sofort wieder verbannte. Polly würde mich nicht verraten. Auch jetzt nicht.
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