Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
nach hinfiel. Ich spürte den Schmerz nicht mal, blieb einfach liegen, wo ich war, zog nur meine Tasche unter meinen Kopf und nahm das Amulett in die Hand. Niedergeschlagen drückte ich den Anhänger an mein Herz, als könne er mich über meinen schweren Verlust hinwegtrösten.
Papa, dachte ich voll Verzweiflung. Papa, Papa, Papa.
Nicht aufgeben. Denk an etwas Schönes. Denk nicht an jetzt. Denk an früher.
Früher … Unsere Urlaube … Ich schloss die Augen, zwang mich dazu, die Sonne auf meinem Gesicht, den Sand unter meinen Füßen, die Anwesenheit meines Vaters neben mir zu spüren. Lange Spaziergänge am Meer, bei jedem Wetter, bei denen wir über Gott und die Welt redeten …
Nur über meine Mutter erzählte er mir nie etwas, obgleich ich seine Trauer auch Jahre nach ihrem Tod noch spüren konnte. Eineinhalb Jahre war ich alt gewesen, als wir sie verloren hatten. Ich kannte meinen Vater nicht anders, aber ich wusste von alten Fotos, dass der wehmütige Zug um seinen Mund früher nicht dagewesen war. Ein Bild von meiner Mutter hingegen hatte ich nie gesehen. Er hatte wohl nach ihrem Tod alles weggepackt, um nicht ständig an sie erinnert zu werden.
Da ich sie nie bewusst kennengelernt hatte, vermisste ich sie nicht, aber für ihn musste es sehr hart gewesen sein. Ich denke, was ihn nach ihrem Tod aufrechterhalten hat, war sein Versuch, dafür zu sorgen, dass ich trotz allem ein normales, ein schönes Leben hatte. Und das gelang ihm, obwohl es nicht einfach gewesen sein konnte, mit seiner Trauer fertigzuwerden, sein Geschäft am Laufen zu halten und gleichzeitig ein kleines Kind aufzuziehen. Sicher, die Kunden, die in die Apotheke kamen, waren begeistert von der niedlichen Dreijährigen, die an den Schubladen der Arzneimittelschränke bis an die Decke hoch kletterte, aber meinen Vater musste es doch einiges an Nerven gekostet haben.
In einer meiner vorlauteren Phasen als Dreizehnjährige hatte ich mehr darüber zu erfahren versucht, wie meine Mutter aussah, warum sie gestorben war und ob ich jemals eine Chance hatte, den sorglosen Papa von den Fotos irgendwo, irgendwann wiederzufinden.
„Erzähl mir etwas von früher“, verlangte ich, als wir eines verregneten Samstags im Wohnzimmer saßen. Der Film, den wir angesehen hatten, war zu Ende, der Abspann durchgelaufen und es dämmerte bereits.
„Früher ist vorbei“, erwiderte er mit einem traurigen Lächeln und schaltete per Knopfdruck demonstrativ die MultiM-Station aus und die Beleuchtung ein.
„Trotzdem! Erzähl mir was! Bitte!“, setzte ich ungeduldig hinzu.
„Man kann nichts ungeschehen machen.“
Dass er mich mit solchen Phrasen abspeisen wollte, machte mich wütend. „Das weiß ich, aber ich habe ein Recht darauf, etwas zu erfahren! Es geht immerhin um mein Leben!“
„Dein Leben ist das hier. Nicht die Vergangenheit.“ Sein sanfter Widerstand, an dem mein Zorn so einfach abprallte, brachte mich noch mehr auf die Palme.
„Ich komme aber aus der Vergangenheit!“, tobte ich. Das war nicht exakt das, was ich eigentlich hatte sagen wollen, aber ich wusste nicht, wie ich mich sonst ausdrücken sollte.
„Wir sollten keine Science Fiction Filme mehr ansehen, wenn dich das so durcheinanderbringt.“ Er versuchte die Situation mit freundlichem Spott zu entschärfen, aber das war in diesem Moment genau die falsche Reaktion. Ich brach in Tränen aus und überschüttete ihn schluchzend mit mehr oder weniger haltlosen Vorwürfen.
„Ell …“ Er setzte sich neben mich auf die Couch und nahm mich in den Arm.
„Ich habe ein Recht darauf“, sagte ich immer wieder weinend.
„Was willst du denn wissen?“, fragte er schließlich erschöpft.
„Alles! Von Anfang an.“
Nach einer langen, nachdenklichen Pause sagte er: „Wir haben uns an der Universität kennengelernt. Genauer gesagt auf einer Studentenparty. Sie hatte eine ziemlich heftige Diskussion mit einem Wirtschaftswissenschaftler, keine Ahnung, um was es genau ging. Aber ich sah ihr an, dass sie drauf und dran war, ihm an die Gurgel zu springen. Deswegen schritt ich ein und zog sie einfach auf die Tanzfläche.“ Er lachte leise. „Sie … war schlau, schlauer als alle. Und sie war sehr schön. Und sie hatte ihren eigenen Kopf. Genau wie du.“ Seine Stimme klang seltsam und ich hob den Kopf.
Entsetzt sah ich Tränen in seinen hellbraunen Augen glitzern. Solange ich denken konnte, war er stark gewesen und die Tatsache, dass ich ihn mit meinen penetranten Fragen so traurig gemacht
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