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Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)

Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)

Titel: Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dani Aquitaine
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hatte, machte mich hilflos, fassungslos. Ich fühlte schlechtes Gewissen in mir aufsteigen, als mir klar wurde, wie schwer es für ihn gewesen sein musste, mit der Vergangenheit abzuschließen, und dass ich nun Wunden aufriss, die nur er alleine heilen konnte.
    Sein Schmerz überwog meine Neugierde. Zerfetzte sie und blies sie in alle Himmelsrichtungen.
    Als er den Mund öffnete, um weiterzuerzählen, legte ich schnell meine Hand auf seine Lippen.
    „Früher ist vorbei“, wiederholte ich seine Worte.
    Nach diesem Abend bohrte ich nie wieder nach. Ich war immer davon ausgegangen, dass wir das Thema später einmal, wenn mein Vater noch mehr Abstand gewonnen hätte, wieder angehen würden. Doch dazu war es nie gekommen.
     
    Mein Herz tat so weh, dass mir die Luft wegblieb, wenn ich nun daran dachte. Keine Chance mehr, etwas über meine Mutter zu erfahren, keine Möglichkeit, mich zumindest an die Erinnerungen meines Vaters zu klammern. Ich verwünschte die Marodeure, ich verwünschte den ganzen, elenden Verfall und ich verwünschte die Menschen, die es so weit hatten kommen lassen. Die nicht hatten sehen wollen, dass ihr kostbares und lebensnotwendig gewordenes Erdöl eines Tages zur Neige gehen würde. In Wahrheit ist es natürlich nicht lebensnotwendig und in Wahrheit war es natürlich auch nie ausgegangen, sondern einfach nur so teuer geworden, dass es sich niemand mehr leisten konnte.
     
    Und damit war die moderne Welt vor etwa einem Jahr untergegangen. In regenerative Energie hatte man aus unerfindlichen Gründen zuvor nicht ausreichend investiert, und nun war es zu spät, die nötigen Anlagen aufzubauen. Die wenigen Windräder und Solarkraftwerke, die es gab, konnten nicht genug Energie erzeugen, um das Unheil abzuwenden.
    Ohne Strom konnte die Industrie nichts mehr produzieren und die Firmen waren gezwungen, ihre Mitarbeiter zu entlassen. Die Pharmaunternehmen lieferten immer seltener an die Apotheke meines Vaters, die Regale im Supermarkt wurden immer leerer, was im Grunde keine Rolle mehr spielte, denn dann kam die Inflation. Hatte ich am Vortag noch vier Taler für ein Stück Käse bezahlt, kostete es am nächsten Tag zwölf. Am übernächsten zwanzig und nach einem Monat eine halbe Million. Das Finanzsystem kollabierte, ein Staat nach dem anderen ging bankrott. Gepaart mit der Massenarbeitslosigkeit führte das zu Unruhen, Plünderungen und Anschlägen und innerhalb von sehr kurzer Zeit waren Infrastruktur, Telekommunikation und Gesundheitssystem zusammengebrochen. Regierungen und Armeen hatten sich aufgelöst. Schulen und Universitäten waren geschlossen.
    Da niemand mehr den Müll abholte und es kein sauberes Wasser gab, breiteten sich die Krankheiten aus. Und das alles war nicht nur bei uns der Fall – alle Länder der Erde hatten unter denselben Problemen zu leiden. Je moderner ein Staat, eine Gesellschaft war, umso härter traf sie der Verfall.
    Er hatte mich abrupt in eine raue und grausame Erwachsenenwelt gerissen. Nichts war mehr sicher, mein Leben, die Zukunft, die nächste Mahlzeit. Plötzlich war ich gezwungen, für all diese Dinge zu kämpfen – ein Kampf, der mich veränderte, mich verantwortungsbewusster, zäher, zielstrebiger machte. Nicht weil ich so werden wollte, sondern weil ich es musste.
    Dann, nach einigen Monaten, stülpte sich plötzlich die Stille über uns. Es kamen keine neuen Hiobsbotschaften, was aber vor allem daran lag, dass man überhaupt keine Nachrichten mehr erhielt. Autos, Flugzeuge und Maschinen standen still und verrosteten. Fernseher, Radios und Waschmaschinen hatten aufgehört zu lärmen und verstaubten. Meine Lieblingslieder musste ich mir in regelmäßigen Abständen vorsingen, damit ich sie nicht vergaß. Abspielen würde ich sie nie wieder können.
    Früher … ist vorbei, wiederholte ich in Gedanken die Worte meines Vaters. Imaginärer Sand unter mir wurde wieder zu Beton und die salzige Meeresbrise zum muffigen Geruch des Underground . Und doch zerrte mich die Erschöpfung endlich in den Schlaf hinüber.
     
    Ich erwachte, weil ich vor Kälte am ganzen Körper schlotterte. Bei meinem überstürzten Aufbruch hatte ich keine Gelegenheit gehabt, noch eine Jacke einzupacken; so trug ich noch die Kleidung, die ich am Morgen zuvor angezogen hatte, bevor ich mich zum Markt aufgemacht hatte: T-Shirt, Kapuzenjacke, Jeans und Stiefel. Präapokalyptische Gummistiefel aus feinstem PVC, grün mit buntem Blumenmuster. Ich hatte sie für ein verregnetes Schulsommerfest

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