Theo Boone und das verschwundene Mädchen: Band 2 (German Edition)
viel Zeit verbringt. Sie gehen auf kleine Tourneen, spielen in Bars und auf Studentenpartys. Vermutlich sind auch Drogen im Spiel.«
»Klingt plausibel. April hat mir erzählt, dass er irgendwann einen ganzen Monat lang verschwunden war. Ich glaube, er streitet viel mit Mrs. Finnemore. Die ganze Familie ist sehr unglücklich.«
Ike erhob sich bedächtig und ging zu der in einen Bücherschrank eingebauten Stereoanlage. Auf Knopfdruck untermalte leise Folkmusik ihr Gespräch.
»Wenn du mich fragst, sollte sich die Polizei den Vater näher ansehen«, meinte Ike, während er die Lautstärke regulierte. »Vermutlich ist er mit dem Mädchen irgendwo abgetaucht.«
»Ich glaube nicht, dass April mit ihm mitgehen würde. Sie mag ihn nicht und traut ihm nicht über den Weg.«
»Warum hat sie sich nicht bei dir gemeldet? Hat sie kein Handy, keinen Laptop? Ich denke, ihr chattet sonst ständig im Internet?«
»Die Polizei hat den Laptop in ihrem Zimmer gefunden, und ihre Eltern wollten ihr kein Handy kaufen. Sie hat mir mal erzählt, dass ihr Vater Handys hasst und selbst keins hat. Er will nicht erreichbar sein, wenn er unterwegs ist. Offenbar kann sie sich nicht melden, sonst hätte sie es schon längst getan. Vielleicht lässt ihr Entführer sie nicht in die Nähe eines Telefons.«
Ike setzte sich erneut und starrte auf den Notizblock auf seinem Schreibtisch. Theo musste zur Schule, die mit dem Rad zehn Minuten entfernt war, wenn er sämtliche Abkürzungen nutzte.
»Ich sehe mal, was ich über ihren Vater herausfinden kann«, sagte Ike. »Ruf mich nach der Schule an.«
»Danke, Ike. Hör mal, diese Informationen über April, die sind vermutlich topsecret?«
»Warum sollten die geheim sein? In einer Stunde gibt die Polizei sowieso alles bekannt. Wenn du mich fragst, hätte die Öffentlichkeit schon gestern Abend informiert werden müssen. Aber nein, die Polizei hält lieber Pressekonferenzen ab und macht das Ganze so dramatisch wie möglich. Mir egal, wem du davon erzählst. Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information.«
»Super. Dann ruf ich Mom auf dem Weg in die Schule an.«
Zwölf
Eine Viertelstunde später hatte Mr. Mount in seinem Klassenzimmer für Ruhe gesorgt, was nicht so schwierig war wie sonst. Die Stimmung war nach wie vor gedrückt. Es waren zahlreiche Gerüchte im Umlauf, aber keiner sprach offen darüber. Mr. Mount sah die Jungen an.
»Männer«, sagte er ernst– seine übliche Anrede für seine Schüler. »Theo weiß etwas über Aprils Verschwinden.«
Theo erhob sich langsam und ging nach vorne. Einer seiner liebsten Prozessanwälte in Strattenburg war ein gewisser Jesse Meelbank. Wenn Mr. Meelbank eine Verhandlung hatte, versuchte Theo, sich so viel wie möglich davon anzusehen. Im letzten Sommer hatte Mr. Meelbank wegen des tragischen Todes einer jungen Frau ein langwieriges Verfahren gegen eine Eisenbahngesellschaft angestrengt. Theo saß neun Tage hintereinander in der Verhandlung und war schwer beeindruckt. Besonders gefiel ihm, wie Mr. Meelbank im Sitzungssaal auftrat. Seine Bewegungen waren geschmeidig, aber entschlossen, nie übereilt, immer zielstrebig. Wollte er etwas sagen, richtete er den Blick auf den Zeugen, den Richter oder die Geschworenen und legte eine bedeutungsschwere Pause ein, bevor er das erste Wort sprach. Dabei schlug er stets einen freundlichen Ton an. Geradezu beiläufig, scheinbar aus dem Stegreif trug er sein Anliegen vor, aber kein einziger Satz, kein Wort, keine Silbe waren überflüssig. Oft schloss sich Theo in seinem Zimmer oder in seinem Büro ein und wandte sich mit dramatischer Geste an imaginäre Geschworene, um in einem erfundenen Fall zu plädieren. Dabei war stets Mr. Meelbank sein Vorbild.
Nun baute er sich vor der Klasse auf und wartete einen winzigen Augenblick, bis sich die Aufmerksamkeit auf ihn richtete. »Wie wir alle wissen, hat die Polizei gestern eine Leiche im Fluss gefunden. In den Medien wurde ununterbrochen darüber berichtet. Es wurde vermutet, dass es sich um April Finnemore handeln könnte.«
Dramatische Pause, während Theo Blickkontakt mit seinen besorgten Mitschülern aufnahm.
»Allerdings habe ich nun aus zuverlässiger Quelle erfahren, dass es sich nicht um April handelt. Der Tote war ein Mann und etwa 1,68 Meter groß. Außerdem hat der Ärmste lange im Wasser gelegen, und die Verwesung ist weit fortgeschritten.«
Die Gesichter strahlten, vereinzelt wurde sogar geklatscht. Weil Theo jeden Anwalt, Richter,
Weitere Kostenlose Bücher