Theo Boone und das verschwundene Mädchen: Band 2 (German Edition)
zu Hause bleiben. Das Thema hatten sie früher schon diskutiert. Bisher hatte sich Theo nie durchsetzen können, und es würde ihm auch diesmal nicht gelingen. Er hatte ausführlich erklärt, dass er sehr wohl in der Lage war, Türen und Fenster abzusperren, die Alarmanlage einzuschalten, und, falls nötig, die Nachbarn und die Polizei anzurufen. Er könne einen Stuhl unter seine Klinke schieben, Judge sprungbereit vor seinem Bett postieren und, wenn sie das wollten, mit einem Golfschläger in der Hand schlafen. Er sei absolut und vollkommen sicher und habe keine Lust, sich wie ein Baby behandeln zu lassen. Wenn seine Eltern ins Restaurant oder ins Kino gingen, brauchte Theo auch keinen Babysitter, und es wurmte ihn, dass sie ihn nicht eine einzige Nacht allein lassen wollten.
Seine Eltern blieben hart. Sie fanden, mit dreizehn sei er zu jung, um allein zu bleiben. Theo gab keine Ruhe und hatte zumindest erreicht, dass sie noch einmal darüber reden wollten, wenn er vierzehn war. Im Augenblick brauche er Aufsicht und Schutz, meinten sie. Seine Mutter hatte dafür gesorgt, dass er bei Chase Whipple übernachten konnte, was unter normalen Umständen ganz in Ordnung gewesen wäre. Da aber die Eltern von Chase am Samstagabend zum Essen eingeladen waren, sollte die ältere Schwester von Chase auf die beiden Jungen aufpassen. Daphne war eine absolut unsympathische Sechzehnjährige, die immer zu Hause war, weil sie kein Sozialleben hatte und deswegen unbedingt mit Theo flirten wollte. Erst vor drei Monaten hatte er solch eine Übernachtung nur mit Mühe überstanden, als seine Eltern zu einer Beerdigung in Chicago waren.
Er hatte protestiert, genörgelt, geschmollt, argumentiert und hatte ihnen die kalte Schulter gezeigt– aber alles umsonst. Seinen Samstagabend würde er im Keller der Whipples verbringen, wo die dicke Daphne ununterbrochen quasseln und ihn anglotzen würde, während er versuchte, mit Chase Videospiele zu spielen und fernzusehen.
Mr. und Mrs. Boone hatten überlegt, ihre Kurzreise abzusagen, weil in der Stadt nach Aprils Entführung allgemeine Nervosität herrschte. Eigentlich wollten sie eine Veranstaltung in einem dreihundert Kilometer entfernten Ferienort namens Briar Springs besuchen, zu der Anwälte aus dem gesamten Bundesstaat zusammenkamen. Für den Nachmittag waren Seminare und Vorträge geplant, gefolgt von Cocktails und einem ausgiebigen Abendessen mit Reden von weisen alten Richtern und langweiligen Politikern. Woods und Marcella engagierten sich in der Anwaltskammer des Bundesstaates und versäumten nie das jährliche Treffen in Briar Springs. Diesmal war es noch wichtiger, weil Marcella einen Vortrag über die aktuellen Entwicklungen im Scheidungsrecht halten sollte und Woods sich für ein Seminar zur Hypothekenkrise angemeldet hatte. Beide hatten sich vorbereitet und freuten sich auf den Nachmittag.
Theo versicherte ihnen, sie bräuchten sich um ihn keine Sorgen zu machen, und Strattenburg würde vierundzwanzig Stunden ohne sie auskommen. Am Freitagabend hatten sie beim Essen beschlossen, trotz allem zu fahren. Theos energischer Protest war vergeblich geblieben: Er sollte bei den Whipples bleiben, das war beschlossene Sache. Obwohl er sich mehr oder weniger damit abgefunden hatte, war seine Stimmung miserabel, als er am Samstag aufwachte.
»Tut mir leid wegen des Golfs, Theo«, sagte Mr. Boone, ohne von der Sportseite aufzusehen.
Theo antwortete nicht.
»Dafür spielen wir nächsten Samstag einfach achtzehn Löcher. Wie findest du das?«
Theo knurrte irgendwas.
Seine Mutter klappte ihren Laptop zu und sah ihn an. »Theo, Schätzchen, wir fahren in einer Stunde. Was hast du heute Nachmittag vor?«
»Weiß noch nicht«, sagte Theo nach einigen Sekunden. »Wahrscheinlich bleibe ich einfach hier und warte, dass die Kidnapper und Mörder auftauchen. Bis ihr in Briar Springs seid, bin ich wahrscheinlich schon tot.«
»Sei nicht so frech zu deiner Mutter«, wies Woods ihn zurecht, hob aber schnell die Zeitung, um sein Grinsen zu verstecken.
»Es wird bestimmt schön bei den Whipples«, versicherte Marcella.
»Kann es kaum erwarten.«
»Und jetzt zurück zu meiner Frage. Was hast du heute Nachmittag vor?«
»Weiß ich noch nicht. Vielleicht sehen Chase und ich uns das Highschool-Spiel um zwei an oder das Double Feature im Paramount. Ein Hockeyspiel ist auch angesetzt.«
»Und du suchst nicht nach April, Theo. Kann ich mich darauf verlassen? Das haben wir doch besprochen. Kommt nicht
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