Theo Boone und das verschwundene Mädchen: Band 2 (German Edition)
wussten, dass Woods Boone im ersten Stock die Schuhe auszog und die Füße auf den Schreibtisch legte, das Telefon auf »Nicht stören« stellte und eine halbe Stunde vor sich hinschnarchte.
»Du schaffst das«, setzte sein Vater hinzu.
Zurzeit versuchte Theo, sich, wann immer es ging, vor der Schule zu drücken. Kopfschmerzen, Husten, Lebensmittelvergiftung, Muskelzerrungen, Blähungen– Theo hatte alles versucht und würde es wieder tun. Im Grunde hatte er nichts gegen die Schule; wenn er erst einmal dort war, fühlte er sich sogar recht wohl. Er war ein guter Schüler und genoss es, seine Freunde zu treffen. Viel lieber wäre er jedoch am Gericht gewesen, hätte Verhandlungen und Anhörungen verfolgt, den Ausführungen von Anklage, Verteidigung und Richtern gelauscht, sich mit Polizeibeamten und Justizangestellten, Hausmeistern und Pförtnern unterhalten. Theo kannte einfach jeden.
»Es gibt noch einen Grund, warum ich nicht zur Schule gehen kann«, sagte er, obwohl er wusste, dass er verloren hatte.
»Nur raus damit«, ermutigte ihn seine Mutter.
»Ich muss suchen helfen. Wie oft passiert so was in Strattenburg schon? Meine beste Freundin ist verschwunden, da kann ich doch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Ich werde bei der Suche nach April gebraucht. Das würde sie von mir erwarten. Außerdem kann ich mich in der Schule unmöglich konzentrieren. Totale Zeitverschwendung. Ich denke sowieso nur an April.«
»Netter Versuch«, sagte sein Vater.
»Nicht schlecht«, stimmte seine Mutter zu.
»Hört mal, ich meine es ernst. Ich muss dabei sein.«
»Das verstehe ich nicht«, erklärte sein Vater, was natürlich ironisch gemeint war. Das war ein Standardsatz von ihm, wenn er mit Theo redete. »Für die Schule bist du zu müde, aber für eine Vermisstensuche nicht?«
»Das ist doch Haarspalterei. Auf jeden Fall kann ich nicht zur Schule gehen.«
Eine Stunde später stellte Theo sein Fahrrad vor der Schule ab und marschierte widerwillig ins Gebäude, als die Schulglocke läutete. 8.15 Uhr. In der Eingangshalle kamen ihm drei heulende Achtklässlerinnen entgegen, die wissen wollten, was mit April war. Er musste sie enttäuschen.
Offenbar hatte die ganze Stadt die Morgennachrichten gesehen und wusste genauso viel wie er. In den aktuellen Meldungen waren ein Schulfoto von April und ein Verbrecherfoto von Jack Leeper gezeigt worden. Immer wieder war von Kidnapping, also erpresserischem Menschenraub, die Rede gewesen, was Theo gar nicht verstand. Zum Kidnapping gehörte normalerweise eine Lösegeldforderung, das hatte er eigens noch einmal nachgeschlagen. Für die Freilassung der festgehaltenen Person wurde also Geld verlangt. Nachdem die Finnemores noch nicht einmal die laufenden Rechnungen bezahlen konnten, war kaum vorstellbar, wie sie April hätten freikaufen sollen. Außerdem hatte sich der Entführer bisher nicht gemeldet. Wie Theo aus dem Fernsehen wusste, erfuhr die Familie üblicherweise ziemlich schnell, wenn sich ihr Kind in der Gewalt von Gangstern befand. Die mussten ja ihre Lösegeldforderung stellen.
In einem anderen Beitrag war eine weinende Mrs. Finnemore vor ihrem Haus zu sehen. Die Polizei hielt sich bedeckt und erklärte nur, man gehe allen Hinweisen nach. Ein Nachbar behauptete, sein Hund habe um Mitternacht angefangen zu bellen, immer ein schlechtes Zeichen. Die ganze hektische Aktivität der Journalisten hatte offenbar nur wenig über das vermisste Mädchen zutage gefördert.
Theos Klassenlehrer war Mr. Mount, der auch Sozialkunde unterrichtete. Als sich die Jungen halbwegs beruhigt hatten, verlas er die Anwesenheitsliste. Alle sechzehn waren anwesend. Das Gespräch kam schnell auf April, und Mr. Mount erkundigte sich bei Theo, ob er etwas gehört hatte.
»Nichts«, erwiderte dieser, was seine Mitschüler zu enttäuschen schien. Theo war einer der wenigen Jungen, die mit April sprachen. Die meisten Achtklässler, Mädchen und Jungen gleichermaßen, mochten April, fanden den Kontakt mit ihr jedoch schwierig. Sie war ein stiller Mensch, zog sich mehr wie ein Junge an als wie ein Mädchen und interessierte sich weder für Mode noch für Teenagermagazine. Außerdem kam sie, wie jeder wusste, aus einer merkwürdigen Familie.
Die Glocke läutete, und Theo, der bereits erschöpft war, schleppte sich zum Spanischunterricht.
Drei
Um 15.30 Uhr war endlich Unterrichtsschluss. Um 15.31 Uhr saß Theo auf seinem Rad und flitzte durch Gassen und Nebenstraßen, um dem Verkehr im Stadtzentrum
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