Theo Boone - Unter Verdacht: Band 3 (Heyne fliegt) (German Edition)

Sorgerecht bekommt, und hat deswegen keine Ahnung, wo es leben wird. Oft sind die Eheleute gezwungen, das Haus der Familie zu verkaufen. Manchmal hat das Kind einen Elternteil lieber und muss sich zwischen beiden entscheiden. Stell dir vor, Theo, du müsstest wählen, ob du bei deiner Mutter oder deinem Vater leben willst. Eine Scheidung ist für jedes Kind ein emotionales Trauma, das bleibende Schäden verursacht.« Er kratzte sich den Bart. » Ich glaube, deine Schwierigkeiten haben mit einem Scheidungsfall deiner Mutter zu tun. Ich vermute, eine ihrer Mandantinnen hat ein Kind an deiner Schule, dem es nicht gefällt, wie die Sache läuft. Da deine Mutter immer die Ehefrau vertritt, die normalerweise das Sorgerecht bekommt, handelt es sich vielleicht um ein Kind, das sich mit seiner Mutter nicht versteht und zu seinem Vater will, der Marcella Boone aus offensichtlichen Gründen nicht ausstehen kann. Dass jemand deine Mutter verabscheut, ist bei einer Scheidungssache nichts Ungewöhnliches, und das bekommen die Kinder, die ins Kreuzfeuer geraten sind, sicherlich mit.«
    Die beiden Mühlsteine, die auf Theos Schultern gelastet hatten, lösten sich plötzlich in Luft auf, und er fühlte sich wie befreit. Was für ein brillanter Gedanke! Nie im Leben wäre Theo darauf gekommen. Aber Ike, sein weiser alter Onkel, hatte den Blick fürs Ganze.
    » Du fragst dich vielleicht, warum deine Mutter das nie angesprochen hat«, fuhr Ike fort. » Wahrscheinlich hat sie daran gedacht, aber deine Mutter setzt sich so leidenschaftlich für ihre Mandantinnen ein, dass sie gelegentlich den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Und sie ist so professionell, dass es ihr nicht im Traum einfallen würde, Geheimnisse ihrer Mandantinnen preiszugeben.«
    » Nicht einmal, wenn es um ihren eigenen Sohn geht?«
    » Doch natürlich, Theo, wenn deine Mutter glauben würde, dass jemand, der mit einem ihrer Fälle zu tun hat, dir schaden will, würde sie mit Sicherheit alles tun, um das zu verhindern. Aber Anwälte wie deine Mutter sind manchmal so wild entschlossen, ihre Mandanten zu schützen, dass sie auf einem Auge blind sind. Sie sehen nicht, was für andere offensichtlich ist. Und du musst zugeben, Theo, dass unser geheimnisvoller Mitschüler völlig außer Rand und Band ist. Nicht gerade das Verhalten, mit dem deine Mutter– oder sonst jemand– rechnen würde. Deine Mutter hat im Laufe der Jahre so viele Scheidungsverfahren durchgezogen, dass sie vermutlich gar nicht auf den Gedanken kommt, dass die Kinder ihrer Mandantinnen sauer auf sie sein könnten.«
    » Soll ich mit meiner Mutter reden?«
    » Was willst du sie denn fragen? Wer sich gerade unter hässlichen Umständen scheiden lässt und ein Kind an deiner Schule hat? Nehmen wir an, sie kann ein paar Fälle nennen. Nehmen wir an, du kannst den Kreis der Verdächtigen einengen. Irgendwie– wie genau, weiß ich auch nicht– gelingt es dir zu beweisen, dass dein geheimnisvoller Mitschüler der wahre Schuldige ist. Er wird wegen des Einbruchs im Computergeschäft verhaftet, fliegt von der Schule und bekommt, was er verdient. Du bist aus dem Schneider, und der andere sitzt in der Tinte, habe ich recht?«
    » Stimmt.«
    » Dann besteht die Möglichkeit, dass sich deine Mutter selbst Schwierigkeiten einhandelt. Ihre Mandantin wird nicht glücklich darüber sein, dass ihr Kind Ärger bekommt, und wird deiner Mutter zumindest eine Teilschuld daran geben. Wenn dieses Kind zu einer Jugendstrafe verurteilt wird, könnte das auf deine Mutter zurückfallen. Natürlich hat es eine Straftat begangen, für die es zur Rechenschaft gezogen werden muss, aber die Mandantin wird denken, deine Mutter hat ihre Schweigepflicht verletzt. Das bringt deine Mutter in eine schwierige Lage.«
    » Hast du einen Plan?«
    » Habe ich das nicht immer? Hast du deinen Laptop dabei?«
    Theo klopfte auf seinen Rucksack. » Hier drin.«
    » Gut. Wir gehen jetzt ins Internet und sehen uns alle Sachen an, die beim Familiengericht anhängig sind. Dann erstellen wir eine Liste aller laufenden Scheidungsverfahren, in denen deine Mutter eine Partei vertritt. Schließlich prüfen wir, in welchen Verfahren die meisten Anträge gestellt werden, und notieren, ob Kinder beteiligt sind, die auf deine Schule gehen. Es dürften nicht allzu viele übrig bleiben.«
    Theo holte bereits seinen Laptop heraus. » Geniale Idee, Ike.«
    » Das wird sich noch herausstellen.«
    Die Prozessliste des Familiengerichts unterteilte sich in verschiedene