Theo Boone - Unter Verdacht: Band 3 (Heyne fliegt) (German Edition)
verschwenden, aber Theo wusste, dass sie sich brennend dafür interessierten. Seine Mutter war eine angesehene Scheidungsanwältin mit vielen Mandanten, sein Vater hatte sich auf Immobiliengeschäfte spezialisiert und ging nie vor Gericht. Theo wollte eines Tages ein berühmter Prozessanwalt werden, der sich von Scheidungen und Immobilien fernhielt. Oder er wurde ein weiser Richter, wie sein Freund Henry Gantry. Das war noch nicht entschieden, aber er hatte ja noch jede Menge Zeit. Schließlich war er erst dreizehn.
Die Geschworenenbänke waren leer, und da Theo schon viele Verhandlungen gesehen hatte, wusste er, dass die Geschworenen zuletzt in den Verhandlungssaal geführt wurden. Hoch über dem Richtertisch hing eine große quadratische Uhr, und um 8.59 Uhr betraten die Staatsanwälte– wie üblich mit wichtiger Miene– durch eine Seitentür den Sitzungssaal. Angeführt wurden sie von Jack Hogan, einem alten Haudegen, der seit vielen Jahren in Strattenburg Kriminelle jagte. Im ersten Prozess vor vier Monaten hatte Hogan Theo mit seinem Auftreten vor Gericht schwer beeindruckt. Wochenlang hatte er damals überlegt, Staatsanwalt zu werden, ein Mann, auf den die ganze Stadt blickte, wenn ein furchtbares Verbrechen geschah. Mr. Hogan war von verschiedenen jüngeren Staatsanwälten und Ermittlern umgeben. Es war ein beeindruckendes Team.
Der Tisch der Verteidigung auf der anderen Seite des Gangs war verlassen– von Pete Duffy war weit und breit nichts zu sehen. Direkt dahinter, in der ersten Reihe, entdeckte Theo jedoch Omar Cheepe und seinen Kumpanen Paco, zwei zwielichtige Gestalten, die die Verteidigung als Schnüffler und Unruhestifter angeheuert hatte. Die Zuschauer machten es sich gemütlich. Nach einem Blick auf die tickende Uhr wunderte Theo sich sehr, dass bisher nur die Vertreter der Anklage eingetroffen waren. Richter Gantry legte großen Wert auf Pünktlichkeit. Als sich um Punkt neun immer noch nichts rührte, wanderten die Blicke der Menge zur Uhr. Es wurde 9.05 Uhr, dann 09.10 Uhr. Um 9.15 Uhr kam schließlich das Team der Verteidigung herein und nahm Platz. Die Leitung hatte Clifford Nance, ein bekannter Prozessanwalt, der im Augenblick jedoch blass und hilflos wirkte. Er beugte sich über die Schranke, um mit Omar Cheepe und Paco zu reden. Da war etwas faul, so viel war klar.
Von Pete Duffy, der neben Clifford Nance am Tisch hätte sitzen sollen, fehlte jede Spur.
Omar Cheepe und Paco verließen abrupt den Raum.
» Bitte erheben Sie sich!«, rief ein Gerichtsdiener um 9.20 Uhr.
Richter Henry Gantry betrat durch eine Tür hinter dem Richtertisch mit wehender schwarzer Robe den Saal.
» Hört, hört, das Strafgericht des Zehnten Distrikts tagt nun unter dem Vorsitz des ehrenwerten Henry Gantry«, fuhr der Gerichtsdiener fort. » Möge jeder seine Angelegenheiten vortragen. Gott segne dieses Gericht.«
» Bitte nehmen Sie Platz«, sagte Richter Gantry, und die Zuschauer, die sich noch gar nicht richtig erhoben hatten, plumpsten wieder auf ihre Stühle.
Richter Gantry starrte Clifford Nance finster an und holte tief Luft. Alle Anwesenden folgten seinem Blick. Nance wurde noch blasser.
» Mr. Nance, wo ist der Angeklagte Peter Duffy?«, fragte Richter Gantry schließlich.
Clifford Nance erhob sich widerstrebend. Er räusperte sich, und als er schließlich sprach, klang seine sonst so volle Stimme heiser und gebrochen. » Ich weiß es nicht, Euer Ehren. Mr. Duffy hätte heute Morgen um sieben Uhr zur Vorbereitung der Verhandlung zu mir in die Kanzlei kommen sollen, aber er ist nicht erschienen. Er hat sich weder telefonisch noch per Fax, E-Mail oder SMS bei mir oder meinen Mitarbeitern gemeldet. Wir haben immer wieder versucht, ihn telefonisch zu erreichen, aber vergeblich. Bei ihm zu Hause ist auch niemand. Im Augenblick suchen wir noch, aber es sieht so aus, als wäre er verschwunden.«
Theo traute seinen Ohren nicht, und allen anderen im Saal schien es ebenso zu gehen.
Ein Polizeibeamter erhob sich. » Darf ich etwas sagen, Euer Ehren?«
» Bitte«, sagte Richter Gantry.
» Wir wurden nicht informiert. Wäre uns das vorher gemeldet worden, hätten wir die Fahndung einleiten können.«
» Dann tun Sie das eben jetzt«, erwiderte Richter Gantry unwirsch. Offensichtlich hatte ihn die Abwesenheit von Pete Duffy völlig aus dem Konzept gebracht. Er schlug mit dem Hammer auf den Tisch. » Eine Stunde Unterbrechung. Bitte informieren Sie die Geschworenen, sie sollen es sich da hinten
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