Theo
eigene Gefahr«, »Riecht meinen Auspuff!« oder Ähnliches. Aber dazu war das Schild zu klein. Und wäre es größer gewesen, hätte man den Theo-Volvo endgültig nicht mehr als Auto identifiziert.
Der Theo-Volvo war nur für eine einzige Strecke zugelassen,für die abschüssige Josef-Ressel-Straße. Genauer: für deren Gehsteig. Dieser war insofern interessanter als die Fahrbahn, als er in fünf Teilstrecken zu absolvieren war. Denn das Reglement (Papa) besagte, dass Theo sein Fahrzeug vor jeder Quergasse zum Stillstand bringen musste.
Reden wir nicht von den Anfängen: Da saß Theo minutenlang angespannt in seinem in Startposition gebrachten Volvo, berührte das Lenkrad, umklammerte es, drehte daran (vergeblich, denn es hatte eine Lenkradsperre auf Lebenszeit), rieb daran, zog daran, rüttelte und schüttelte – und nichts geschah.
Dann kam er dahinter: Das Ding musste erst einmal bewegt werden. Schob jemand an, rollte es. Rollte es, fuhr es. Fuhr es, fuhr es schneller. Fuhr es schneller, fuhr es noch schneller. Fuhr es noch schneller, fuhr es eindeutig zu schnell. Und wäre unten nicht jemand gestanden, der das Höllengefährt abgebremst und Theo aufgefangen hätte, dann hätte Theo das Ganze überhaupt nicht mehr lustig gefunden. Dann wären Autos für ihn gestorben gewesen. Dann hätte er nur noch mit den ganz kleinen Exemplaren »Autofriedhof« gespielt, brutaler als je zuvor.
Mittlerweile ist Theo mit seinem Volvo sozusagen zusammengewachsen. Die Bremsklötze bringt er selber mit: Da haben sich seine grünen »Doktor Martens« als wahre Wundermittel erwiesen. Sie werden mit jeder Geschwindigkeit fertig. – Natürlich niemals folgenlos. Aber Theo liebt die kleinen Unfälle, die gefährlichenDreher, die überhitzten Bremsen, die Radierungen des Randsteins, die Touchierungen des Gartenzaunes, die dramaturgisch aufbereiteten, lebensecht inszenierten kleinen Peitschenschlagsyndrome. Und die besorgten Betreuer mit ihren verzweifelten Zurufen: »Theo, hast du dir wehgetan?« – Hat er nicht, aber das müssen sie ja nicht gleich erfahren. Sie sollen ruhig ein bisschen zittern um ihn. Und es hätte ja wirklich schlimmer ausgehen können.
Und dann, wenn keiner mehr damit rechnet, dass sich in diesem schwer gestrauchelten Boliden namens »Theo-Volvo« noch irgendetwas bewegen könnte, wandert eine Hand gespenstisch langsam zum blauen Riesentelefon, hebt offenbar mit letzter Kraft ab und schiebt den Hörer zu einem verborgenen Gesicht. Und eine Stimme, schon mehr aus dem Jenseits als aus dieser Welt, spricht in den höchsten Tönen der Unverwundbarkeit: »Na hallo, hallo, hallo! – Hier ist Theo. Ist dort der Pannendienst?«
Im Frühsommer nahm Theo seinen Papa schließlich zu einer sogenannten Ferrari-Ausstellung mit. Das Wort »Ferrari« klang so ergreifend schön, dass sich Theo durch das sinnlose Beiwort »Ausstellung« nicht weiter irritieren ließ. Für ihn war klar, dass der Zeitpunkt gekommen war, einen Schlussstrich unter das demütigende Dasein auf Kindersitzen zu ziehen – man stellte ihn ja praktisch auf die gleiche Stufe wie Reisegepäck im Kofferraum – und endlich einmal in ein ordentliches Fahrzeug zu steigen. Und zwar vorne einzusteigen,um sich dorthin zu setzen, wo er längst schon hingehörte – hinters Lenkrad.
Theos Fahrtauglichkeit sollte eigentlich gar kein Thema mehr sein. Er stellte sie ohnehin täglich von neuem unter Beweis. Aber bitte – wir fassen gerne zusammen:
1. Theo konnte alle Automarken der Welt beim Namen nennen. Er konnte nur nicht aufhören, alle Automarken der Welt beim Namen zu nennen.
2. Er konnte fließend und fehlerlos fünfzigmal hintereinander »Audi-Turbo-Diesel« sagen. Er konnte dabei immer lauter werden. (Lauter als jeder Audi-Turbo-Diesel.) Er konnte damit ein Stück Obstkuchen herbeizaubern. (»Okay, Theo, du kriegst ihn, den Obstkuchen. Nur beende sofort dein Audi-Turbo-Diesel-Gegröle!«)
3. Er hätte mit dem fünfzigmaligen Ausruf der Parole: »Ein Mazda müsste man sein, müss ma Mazda sein!« bestimmt noch ein zweites Stück Obstkuchen erlangt. Aber der Spruch gefiel ihm zu gut. Er war um keinen Preis zum Aufhören zu bewegen.
4. Über zu wenig Fahrpraxis darf sich (mit Ausnahme Theos) keiner beklagen. Theo hatte in knapp einem Jahr gut 5000 Kilometer zurückgelegt. – Noch dazu mit den Händen. Konkret: mit den Händen auf Lenkrädern, knapp über Lenkrädern, oder – für den Fall, dass keine Lenkräder vorhanden waren – im
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