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Theo

Titel: Theo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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heraus fragte eine der Begleiterstimmen: »Theo, willst du fahren? Komm, Theo, du darfst fahren, das ist lustig.« Wir halten fest: Er, Theo, den man am Verkehr bisher restriktiv nicht teilnehmen hatte lassen, ja, den man für die »Kühnheit« seiner Forderung mitunter sogar auslachte, derselbe Theo durfte plötzlich, mehr noch, er wurde förmlich dazu angehalten, sich hinter ein Lenkrad zu klemmen.
    Und er sollte nicht in irgendein Auto steigen, nein, ausgerechnet in einen Ferrari, in eines der schnellstenAutos der Welt (hat der Papa gesagt). Irgendetwas war faul an der Sache. Also entschloss sich Theo zu einem präventiven: »Nein!«
    »Komm, Theo«, drängten die Erwachsenen, »es ist ganz einfach, es kann überhaupt nichts passieren, wir sind alle bei dir, es macht dir bestimmt Spaß!« – Versteht man das? – Also gut, er wollte es riskieren. Wer wusste, ob er so bald wieder eine solche Chance bekommen würde.
    Das Hineingesetztwerden war bereits eine mulmige Angelegenheit. Als sich die Begleiter dann auf seltsam unbeschwerte Weise von ihm verabschiedeten und dem Boliden den Rücken zukehrten, fasste Theo den spontanen Entschluss, es ein andermal zu probieren. Er streckte die Arme vom Leib, stieß ein paar Jammergeräusche aus und wollte auf der Stelle wieder abgeholt werden.
    Just in diesem Moment startete der Ferrari. Und auch die anderen Fahrzeuge und Pferde setzten sich in Bewegung. Somit gab es zum schmerzhaft Verunglücken nur noch eine Alternative: Lenken. Theo umklammerte das Überlebensrad, ließ seine Miene in der Stellung »weinerlich« einrasten, klemmte, um die Konzentration zu erhöhen, die Zungenspitze zwischen die Vorderzähne, legte den Kopf schräg nach links (zeigte damit dem Sportwagen, wo er hinfahren sollte) und nahm erfolgreich die erste (und, wie sich herausstellen sollte, auch die einzige) Kurve, knapp hinter der Straßenbahn, die weißen Schimmel dicht auf den Fersen.
    Die Erwachsenen – und das war im Hinterkopf eine leichte Beruhigung – dürften ebenfalls mitgekommen sein. Denn in regelmäßigen Abständen hörte er sie von außen »Theeeeoooo, juuuuuhuuuuuu, wuuuuiiiii!« rufen. Aber er wagte es nicht hinzuschauen. – Ein kleiner Fahrfehler, und die ganze Anstrengung könnte umsonst gewesen sein, der Ferrari würde sich in die Straßenbahn bohren. Und Theo selbst würde unter die Hufe der wild galoppierenden Pferde geraten.
    Je länger die Fahrt dauerte, umso mehr entzückte Theo sein eigenes Kurvengefühl, welches ihn keinen Zentimeter von der Ideallinie abweichen ließ. Selbst wenn er das Lenkrad tollkühn nach rechts verriss, steuerte der Wagen nach links, wo er hingehörte. Offenbar verstand Theo auch das Bremspedal so geschickt einzusetzen, dass das Tempo im richtigen Maße gedrosselt wurde.
    Angst hatte er eigentlich nur noch ein bisschen vor dem Ende der Fahrt, vor der Vorstellung, dass plötzlich alle Fahrzeuge stehen blieben, nur sein Ferrari würde unvermindert weiterfahren. Das wäre garantiert in eine wiehernde Massenkarambolage ausgeartet. Doch auch hier erwischte Theo das richtige Timing und schliff sich vor den Augen der (offenbar mit Flugzeugen angereisten) Pädagogen vorbildlich ein. Unter frenetischem Applaus ließ er sich aus dem Cockpit heben und auf Schultern durchs Publikum in den Kinderwagen tragen. Erst dort war ihm die Tragweite seines Erlebnisses bewusst. Doch noch nicht bewusst genug:Der Rest des Praterbesuches waren etwa fünfhundert idente Wortmeldungen (»Noch einmal!«) und fünf weitere Fahrten im roten Ferrari. Immerhin.
    Doch wer geglaubt hat, dass Theo nach seinen Talentproben im Prater nun auf vergleichsweise harmloseren, ja geradezu eintönigen Strecken wie der Wiener Süd-Ost-Tangente, dem Grünen Berg oder der Hütteldorfer Straße, wo ihn im Kindersitz regelmäßig der Sekundenschlaf übermannte, freie Bahn hatte, der irrt. Von ebendiesem Irrtum am schwersten getroffen: Theo selbst. Man ließ ihn nach wie vor nicht ans Steuer.
    Verbote als solche waren ihm ja nicht unbekannt. Im täglichen Leben kam es immer wieder vor, dass er etwas haben wollte, und irgendein Scherzbold sagte »Nein«. Aber das waren doch eher nur vorübergehende Erscheinungen, zeitlich begrenzte Widerstände. Das war mehr so ein Spiel der Erwachsenen, um den Reiz einer Sache zu erhöhen, um zu zeigen, dass auch die selbstverständlichsten Dinge der Welt (nämlich jene, die Theo selbstverständlich sofort haben wollte) erst erkämpft werden mussten. Außerdem ließen

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