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Theo

Titel: Theo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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anschließende Wiederbekommen ist, bedankt er sich bereits anlässlich seiner Überreichung. Im Augenblick der Rückgewinnung kann er sich vor Freude nicht mehr halten und bricht offen in Heiterkeitsstürme aus.
    Das Wort »bitte« verwendet Theo übrigens nicht. Erstens kann er noch kein »I«. Zweitens fehlt jede Veranlassung. Mit »bitte« ist derzeit nichts zu erreichen. Die meisten Wünsche werden ohnehin erfüllt, die muss er nicht erst mühsam einfordern. Und manch faszinierendes Ding (Glühbirne, Bierglas, Schere) ist offensichtlich unerreichbar, damit muss er leben, da könnte er »bitte« schreien, bis er blau wird.
    Wir sind mit Theos Spielen noch nicht fertig. Denn der Haushalt führt auch eine Stereoanlage, welche auf dem Kriechweg bequem zu erreichen ist. Theos Faszinationgilt den Knöpfen, konkreter: zwei Knöpfen. Sie unterscheiden sich von den vielen reizlosen dadurch, dass sie mit »Nein!« bezeichnet werden. Und das ist auch schon der Spaß daran: Will man Papa und Mama »Nein!« sagen hören, muss man nur an einem dieser beiden Knöpfe drehen. (Der eine verstellt den Sender, der andere regelt die Lautstärke.)
    Manchmal hat Theo das Gefühl, das Knopfspiel liegt seinen Eltern nicht. Sie können richtig unfreundlich werden. Dabei macht auch er mitunter alle Höhen und Tiefen durch. Als wäre das Drehen allein nicht schon aufregend genug, setzt plötzlich grässliches Zischen oder unerträglicher Lärm ein – und bewirkt, dass Theo über seine eigene Courage zu Tode erschrickt. Das anschließende »Theo, nein!« in ungemütlichem Tonfall hat ihm dann gerade noch gefehlt. In solchen Situationen überlegt er ernsthaft, sich einmal so richtig gehenzulassen – und kräftig loszuheulen.
    Geweint wird nämlich selten, und wenn, dann nur in Notlagen. Vor ein paar Wochen erlitt er eine grobe Enttäuschung. Er hatte, von seinen Eltern unbeobachtet (die müssen ja auch nicht überall dabei sein), einen Stuhl von hinten bestiegen, um die Lehne zu besuchen. Plötzlich kippt das Ding um – und fällt genau auf seinen Kopf. Ja, er hat geweint, und zwar bitterlich, und er bekennt sich dazu! Er hat bis an die Grenze der Bewusstlosigkeit tief Luft geholt, um den Schmerz mit Leibeskräften in die Welt hinauszubrüllen. Denn der Stuhl hat ihm einfach verdammt wehgetan.
    Wie nah Lachen und Weinen beieinander liegen, beweist die Waschmaschine. Sie verursacht bei Theo emotionale Wechselbäder. Dem ersten Teil ihrer Tätigkeit wohnt er mit Begeisterung und Andacht bei. Schön, wie sie wäscht, wie sie pritschelt und herumwurschtelt. Doch plötzlich wird sie bösartig, da rumpelt sie und zuckt und rattert und ruckt.
    Leider hat Theo noch nicht gelernt zu flüchten. Also verharrt er am Unglücksort, Auge in Auge mit dem schleudernden Gespenst, und wartet unter Heulkrämpfen auf das Eintreffen der Rettungsmannschaften.
    Noch sensibler reagiert er auf den Staubsauger. – Er hat ihn nur einmal in Aktion erlebt. Das hat genügt. Von diesem Schreck wird er sich nie wieder erholen. Jetzt kann das Gerät noch so entspannt im Eck herumlungern. Wenn Theo den Staubsauger sieht, muss er weinen.
    Menschen findet er durchwegs heiter, nicht nur wegen ihrer erstaunlichen Geber-Nehmer-Qualitäten. Er mag das Lachen an ihnen, das Singen, die Grimassen und die Art, wie sie »au!« sagen, wenn man in ihre Nasen beißt. Größere Menschenansammlungen meidet er. Es gibt für ihn kaum Schlimmeres, als beim Geben-Nehmen-Spiel die Kontrolle zu verlieren und nur noch drei von fünf ausgeteilten Dingen rückerstattet zu bekommen.
    Theo gilt als sonniges Gemüt. Enthalten ihm Mama oder Papa Gegenstände seines spontanen Verlangensvor, kann er allerdings ziemlich garstig werden. Nützt auch der Trotz nichts, ist mit geheimen Vergeltungsmaßnahmen zu rechnen. Theo hat die Phase der »Objektpermanenz« schon erreicht. Er weiß, wo der Thermostat für die Dusche ist. Er muss ihn nicht sehen, um ihn zu finden. Eine leichte Drehung am Schalter – schon haben wir siebzig Grad Wassertemperatur.
    Sonst ist Theo lieb. Das ist ihm durchaus bewusst – und er lässt sich dafür auch entsprechend feiern. Übertriebene Zärtlichkeiten schätzt er nicht. Gegen trockene Bussis zwischendurch ist nichts einzuwenden. Für Kuschelorgien ist ihm allerdings die Zeit zu schade. Es gibt im Umfeld einfach noch zu viele unerforschte Gegenstände und Geräusche – und Speisen natürlich auch.
    Theo kann übrigens nicht nur essen, reden und spielen. Er kann auch schlafen.

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