Theo
aufhält. Er holt sich ihn tief aus dem Rachen und schleudert ihn mit leicht gedrehter, an den Vorderzähnen abgestützter Zunge wuchtig ins Freie.
Besonders bemüht ist er bei den Wörtern Familie (Famillle) und Daniel (Danelll), bei »Hoch soll er leben« (llleben) und eben bei der Bezeichnung des absoluten Highlights seines Daseins: »Billlla einkaufen!«
Das Spiel sieht ihn in der glanzvollen Doppelrolle des Käufers und Verkäufers, die einander stundenlang alles geben und nichts schenken. Die Lust steigert sich durch die Anwerbung neuer Käuferschichten (Mama, Papa, Oma …) und in der Verwendung echter Güter, wie Bananen oder Mandarinen, die Theo am Ende auch noch essen darf.
So schön wie ein echter Kaufhausbesuch kann freilich das beste Spiel nicht sein. Deshalb drängt Theo (an guten Tagen bis zu fünfzigmal): »Gemma Billa einkaufen!« Drei-, viermal pro Woche erfüllt sich sein Wunsch. Dann thront Theo hoch oben im Einkaufswagen und lässt sich von einem Waren-Dorado ins nächste schieben. Alle paar Sekunden verliebt er sich in eine neue Packung und legt all seine Überzeugungskraft in die Worte: »Müss ma kaufen!« Oder er startet mit einem entzückten »Da!«, erfährt zum Beispiel: »Das ist ein Eierlikör.« Und antwortet in höchster Dringlichkeit: »Eierlikör brauch ma!«
»Billa einkaufen« ist für Theo aber nicht nur Sehen, sondern auch Gesehenwerden. Im Merkur, einem zweiten »Billa« in der Wohngegend, hält er sich gern in der Schuhabteilung auf, um Passanten seine neuen grünen Lederböcke entgegenzustrecken. Mit leicht nasalem Unterton erklärt er, falls es jemand nicht erkannt haben mag: »Doktor Martens!« Sinngemäß soll das heißen: Ihr könnt aufhören zu suchen, die steilsten besitze ich.
»Theo Doktor Martens aufschreiben!«, befiehlt er mir bei dieser Gelegenheit. – Damit nicht genug. Er holt drei Paar Schuhe, legt sie auf den Tisch, sagt: »Theo Schuhe!« und nimmt Gratulationen entgegen. Mama sagt: »So, Theo, und jetzt räum die Schuhe wieder weg!« Theo: »Nein.« (An ihn gerichtete Befehle liegen ihm nicht.) Mama: »Theo, räum die Schuhe weg!« Theo (weinerlich): »Nein.« Mama: »Theo, was hab’ ichgesagt?« Theo: »Schuhe nicht wegräumen.« Also ein klassisches Missverständnis.
Für Theo ist Kaufhaus mit Schlaraffenland gleichzusetzen. Unvorstellbar, dass es da irgendwas nicht geben könnte. Hierzu eine kleine Episode: Theo liegt auf dem Wickeltisch, lernt ein bedeutsames Körperteilchen kennen und stellt fest: »Theo hat ein Spatzi.« Papa kann es offenbar nicht erwarten, ihn aufzuklären und sagt: »Mama hat kein Spatzi.« Theo trägt’s mit Fassung: »Müss ma Billa kaufen!«
Theo schaut
Theos Normalzustand ist der der Heiterkeit. Ja, er ist eine Frohnatur. Wenn man ihn nicht förmlich dazu zwingt, andere Saiten aufzuziehen, dann lacht er. Es gibt Menschen, die behaupten, sie hätten noch nie ein derart fröhliches Kind gesehen. Allein über sie könnte sich Theo bereits totlachen.
Woher Theos ausgeprägter Frohsinn kommt, weiß er selber nicht. Veranlagung, Erziehung, Reinkarnation – ach Gott, bitte macht keine Wissenschaft daraus! Spaß will er haben, aus, Schluss, basta. Denn Tatsache ist, dass es kein besseres Mittel als die eigene Fröhlichkeit gibt, sich selbst immer bei Laune zu halten. Außerdem ist Fröhlichkeit ansteckend. – Kaum einer in Theos Umgebung schafft es, ernst zu bleiben.
Nicht, dass Theo seine Lebensaufgabe darin sieht, andere Menschen fröhlich zu machen. Aber heitere Personen geben einfach mehr her. Sie sind lustiger. Sie gehen mehr aus sich heraus. Sie spielen beflissener. Sie machen bessere Verrenkungen, schauen dümmer drein und bringen die erstaunlicheren Geräusche zustande. Ja, manchmal sind sie in ihrer Ausgelassenheit direkt zum Brüllen. Theos exzessive Art, Humor zu würdigen, motiviert sie wiederum zu Höchstleistungen der Situationskomik. – Somit ist Theos Heiterkeit wie ein Starterkabel für ein unerschöpfliches Unterhaltungsprogramm.
Theos Lieblingsgesichtsausdruck ist »heiter-erwartungsvoll«. Er verwendet ihn zum Beispiel, wenn Personen zu Besuch kommen, die er von früher kennt oder zumindest schon einmal gesehen hat. Bei »heiter-erwartungsvoll« leuchten Theos hellblaue Augen in aufgeregter Vorfreude auf ein unmittelbar bevorstehendes humoriges Ereignis. Der Mund ist leicht geöffnet, die Lippen gestrafft, die Zungenspitze klemmt seitlich zwischen den Zahnreihen. Der Kopf schaukelt in unruhiger
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