Theo
mehr dem Fressen frönt. Zuletzt war sie schon ziemlich rund.
Als Nachteil dieser Anschaffung erwies sich, dass Theo jetzt alle paar Tage den Käfig ausmisten müsste – beinahe. (Nur knapp machen es dann doch Mama oder Papa.) Außerdem wird er von Gott und der Welt auf seine Meerschweinchen angesprochen. Viele fragen einfach nur: »Hast du sie lieb?« Theo quält sich stets ein gutherziges »Ja, schon« ab. Im Grunde dürften sie ihm ziemlich egal sein, was auf Gegenseitigkeit beruht. (Einem Meerschweinchen ist 24 Stunden am Tag alles egal.) Manche – und jetzt wird es mühsam – wollen von Theo unentwegt die neuesten Abenteuer mit Micky und Mausi überliefert bekommen. Das Aufregendste, was Theo bisher zu erzählen hatte, lautet: »Also, sie fressen Gurken, Karotten, Löwenzahn, Petersilie, Äpfel, Trockenfutter, Heu … Hab’ ich schon Gurkengesagt?« – So spannend sind Meerschweinchen, normalerweise.
Und jetzt halten Sie sich fest! Theo und ich gehen die Treppe hinauf, wir betreten das Zimmer, beugen uns über den Käfig. Und was sehen wir? Micky, schlank wie immer. Mausi, sichtlich abgemagert. Und: ein Neugeborenes. Jawohl, ein winzig kleines Meerferkel.
Liegt einfach so herum und tut, als wäre nichts. Wie sich Theo das erklären kann? – »Vielleicht sind sie lesbisch gewesen.« Zweite, wahrscheinlichere Variante: Micky ist ein Männchen. Dann wird’s bald eng im Käfig. Dritte (und wahrscheinlichste) Variante: Mausi war schon vorher trächtig. Dann muss es in der Tierhandlung geschehen sein. – Hoffentlich ist der Vater kein Marder oder Iltis. Jedenfalls erhält das Kleine vorerst keinen Namen. Man weiß ja nicht, für welches Geschlecht es sich entscheidet. Ungünstig wäre: männlich. Sie werden ahnen, warum.
Genug jetzt vom Biologischen. Wenn wir Theos herausragendste Leistung des Jahres 2002 nennen und krönen sollen, dann ist es die seines Gedächtnisses. Der Bub dürfte ein paar Festplatten verschluckt haben. Sein Kopf hat unerschöpfliche Speicherkapazitäten. Nur die Löschtaste hängt ein bisschen. Theo kann einfach nichts vergessen. Er merkt sich alles, egal, ob wichtig oder unwichtig. Geht man mit ihm an Baustellen vorbei, dann sagt er uns, was dort errichtet und wann genau fertiggestellt wird, welcher Kran an welchem Tag wie lange wo im Einsatz war und mit welchemFinger der Kranführer in welcher Nase gebohrt hat. Beim Spaziergang im Wald kann man von Theo hören: »Wann kommen wir zur Oberrettensteiner Höhle und zur Wiesenbachmühle?« Wir: »Hm? Welche Höhle? Welche Mühle? Nie davon gehört.« Theo: »Das ist aber dort auf dem Baum g’standen!« Es stellt sich heraus, dass Theo zwei Stunden vorher auf einem Übersichtsschild sämtliche Namen irgendwelcher Wanderziele in der Umgebung gesehen und im Kopf gespeichert hat.
In diesem Sinne ist das Thema Schule mit wenigen Worten abzuhandeln. Theo geht in die 2b und erfasst alles, was man ihm anbietet. Besonders glücklich macht ihn Rechnen, beim Spiel mit Zahlen läuft er zur Höchstform auf. Hin und wieder, wenn er gerade intensiv daran denkt, glaubt man, in seinen hellblauen Augen Kommastellen schimmern zu sehen. Die Rechenaufgaben sind ihm nie zu schwierig und selten umfangreich genug. Er zeigt sich voll motiviert und sagt: »Ich geb’ so viel, wie’s geht.« (Keine Angst, wird schon noch anders kommen.)
Zeichnen müsste dafür nicht unbedingt sein, auch Singen wäre vernachlässigbar. Schreiben? »Geht so.« Religion gefällt ihm, da gibt es immer ganz gute Geschichten über den lieben Gott. Ob ihm vielleicht eine kleine Botschaft vom sympathischen Reli-Lehrer einfällt? Theo: »Ja, zu Weihnachten soll man nett sein, aber das ist jetzt nicht so wichtig.«
Nach der Schule holt ihn der Hort-Bus ab und bringt ihn nach … (Darf ich nicht verraten, Datenschutz.)»Theo, erzähl dem Onkel Dani doch vom Hort-Essen!«, schlägt seine Mama vor. Theo wird verlegen. »Es gibt Fischstäbchen«, sagt er. Täglich? – Nein, leider nicht. »Sag, dass dir das Essen nicht schmeckt«, drängt die Mama. »Nein, das sag’ ich nicht, sonst schreibt er’s auf, und die lesen das dann«, erwidert Theo. »Soll er’s doch schreiben, dann wird das Essen vielleicht besser«, meint die Mama. Theo weigert sich. »Was gibt’s denn dort, was dir nicht schmeckt?«, frage ich pädagogisch feinfühlig. »Reis«, erwidert er. Das war eine ausweichende Antwort. Mein Verdacht: Theo steckt mit den Hort-Köchen unter einer Decke. Vermutlich bestechen sie ihn
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