Theo
Fischfutter, Karotten (von den Meerschweinchen) und grüne tote Fliegenlarven, sind also so richtige Appetitspatzen. Im Handel erhältlich sind sie im praktischen Set mit Solarbatterie, Schlauch und Sauerstoff. Zuerst sieht mannur kleine Kugeln, aber irgendwann legen die Krebse ihren Panzer ab. Im konkreten Fall ereignete sich folgendes Familiendrama: Vier Stück schlüpften, nur zwei überlebten. Freunde wurden sie nie. Im Gegenteil: »Der eine hat den anderen aufg’fressen«, berichtet Theo mit weit aufgerissenen Augen. Möglicherweise ist der Vielfraß daran erstickt. Nach drei Monaten waren jedenfalls alle tot. »Bist du traurig, Theo?«, frage ich. – »Nein, ich hab’ sie eh ein bisserl grauslich g’funden.«
Von den dämonischen Tiefen des Aquariums nun in die heilige Pfarre am Wolfersberg: Im Juni feierte Theo Erstkommunion. Es war ergreifend. Kaum einer hielt die Kerze wackerer in die Höhe als er, obwohl ihm beinahe die Augen zufielen. »Ich bin heut’ schon um sechs Uhr früh aufg’wacht«, verriet er damals am Rande der Feierlichkeiten. »Weil du so aufgeregt warst?«, fragten wir. »Nein, weil der Wecker geläutet hat«, erwiderte Theo.
Im Sommer wurde dann so richtig Urlaub gemacht. Nach dem Camping-Klassiker mit den Großeltern in Bibione und einem Abenteueraufenthalt in Kärnten stachen sie dank Papas Segelschein mit der Yacht »Sirius« bei Biograd in die kroatische See. »Habt ihr viel gesehen?«, frage ich. »Nein«, erwidert Theo, »der Skipper hat immer nur ›Look at this!‹ g’sagt, aber er hat nie erklären können, was.« (›Look at this‹ waren nämlich seine einzigen englischen Worte – immerhin drei mehr als seine deutschen.)
Zur Abrundung im Sinne des Fußballs besuchte Theodann noch zwei Sommertrainingslager. Die Arbeit fruchtete, im Herbst wurde die derzeit unbestrittene Nummer eins vom Penzinger Bierhäuslberg und Mittelfeldmotor der U-9-Elitemannschaft vom SC Mauerbach zum »besten Spieler« derselben gekürt.
»Willst du einmal Fußballer werden?«, frage ich ihn wieder einmal, denn billiger kann man kein Ja aus seinem Mund ernten. Aber diesmal sagt er überraschend: »Ja, vielleicht.« – »Vielleicht? Was sonst?«, setze ich nach. »Entweder Fußballer oder Radiologe oder Notar«, erwidert Theo. »Warum um Himmels willen Notar?«, frage ich. – »Weil man da einfach nur einen Stempel machen muss und verlangen kann, was man will«, erklärt mir Theo.
»Und warum spielst du mit dem Gedanken, Radiologe zu werden?«, frage ich. Theo überlegt nicht lange: »Weil man da nur Ultraschallbilder macht, und weil’s lustig ist.« – Radiologe aus Humorgründen? Das ist eher neu. Theo drückt ein bisschen herum, das war offenbar noch nicht die volle Wahrheit. Ich bohre weiter und entlocke ihm schließlich: »Okay, weil man pro Befund dreißig Euro kriegt.« Ich setze ein ernstes Gesicht auf und frage mit eindringlicher, aber sanfter Stimme: »Theo, ist Geld wirklich so wichtig?« Theo erwidert: »Na sicher, sonst kann man sich nichts kaufen.«
Bewusst antimaterialistisch stelle ich Theo noch eine abschließende Frage: »Theo, wünschst du dir eigentlich noch einen kleinen Bruder?« – »Nein!« – Das war eine recht schrille Protestnote. Vielleicht sind meineFragen einfach zu bieder. »Aber wieso nicht? Den könntest du dann immer verhauen«, sage ich pädagogisch schwarz. »So was tut man nicht«, weist mich Theo zurecht. »Oder willst du vielleicht lieber eine kleine Schwester?«, frage ich. – »Nein!« – Das kam noch schärfer. »Ich verstehe, auf die müsstest du dann immer aufpassen«, sage ich. Darauf Theo: »Die würde ich dauernd verhauen!« Er lächelt verschmitzt. Politisch korrekt ist er nicht. Aber er geht fast jeden Sonntag unaufgefordert und gern in die Kirche. Außerdem liest er lieber Thomas Brezina als Harry Potter. Er ist schon ein außergewöhnliches Kind. Da kann man echt stolz sein als Onkel.
Er will Chinesisch reden
Theo ist zehn –
und widerspricht den Ergebnissen der PISA-Studie
Theo merkt gleich, dass er in diesem Jahr mit anderen Augen von mir betrachtet wird als sonst. Mit PISA-Augen sozusagen. Für mich ist Theo nämlich der zwingende Beweis, dass es um diese österreichische Jugend im Geiste nicht schlechter bestellt sein kann als um jede andere in den Jahrzehnten davor. Die Frage ist zunächst nur: Wird Theo – erst seit wenigen Wochen zweistellig im Alter – dem psychischen Druck eines stundenlangen und gnadenlosen Interviews
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