Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
wissenschaftliche Lehre und Forschung zu verbessern, es muß dabei von Wettbewerb die Rede sein, von Siegern und Verlierern, von Exzellenz und Elite. Sogar wenn man dem Gedanken etwas abgewinnen kann, daß herausragende Wissenschaft nur in einem besonderen Biotop gedeihen kann, werden sich die Unwägbarkeiten, die zu dem Ruf geführt haben, den sogenannte Eliteuniversitäten derzeit genießen, nicht planen lassen.
Die Rede von wissenschaftlichen Eliten und Exzellenzen signalisiert weniger einen unbedingten Willen zur Leistungssteigerung als vielmehr eine Tendenz zur Abschottung und Ökonomisierung des Wissenschaftsbetriebs. So wie die neuesten Reformen die Universitäten, die bisher im wesentlichen von der öffentlichen Hand finanziert werden, als Unternehmen definieren, die einem Aufsichtsrat gegenüber verantwortlich sind, der alles andere als ein Repräsentant der Öffentlichkeit ist, so wird Wissenschaft zunehmend als ein internationales Unternehmen interpretiert, zu dessen Programm die Idee der Bildung der Menschen nicht mehr gehört. Man kann, aus guten Gründen, für eine solche Konzeption sein und für die Rückkehr zu einem aufgeklärten Absolutismus plädieren, der das Volk zwar mit den Segnungen des wissenschaftlichen Wissens beglückt, es aber von den Zentren und Verfahren dieses Wissens fernhält. Denkbar durchaus, daß solch eine Arbeitsteilung nicht nur den Wissenschaften zugute kommt, sondern auch den Menschen, die nun von allen Ansprüchen, die über berufsqualifizierende Maßnahmen hinausgehen, befreit sind. Der Hang zu einem mehr oder weniger aufgeklärten Absolutismus ist in EU-Europa ohnehin unübersehbar. Das mindeste aber wäre, daß man dies klar sagte und daß begriffen würde, daß sich Europa damit von einer europäischen Idee par excellence verabschiedet.
Der Bildungsbegriff der Aufklärung war seiner Idee nach prinzipiell offen gedacht, er sollte der Motor der Emanzipation sein, Voraussetzung für den Ausgang der Menschen aus einer wie auch immer verschuldeten Unmündigkeit. Auch die klassische Organisation von Wissenschaft in einer »Gelehrtenrepublik« verstand die Universität weniger als Ort der Eliten als vielmehr als Modell für eine durch den Geist gestiftete Gleichheit, das Vorbild sein konnte für die Verfaßtheit der Gesellschaft überhaupt.
Das elaborierte Wissen einer Gesellschaft strukturell auf eine auserlesene Schar – nichts anderes meint Elite – zu beschränken, ist schlechterdings vormodern und drängt den Wissenschaftler in die Rolle des Priesters. Fraglos vermögen sich manche mit dieser Rolle durchaus anzufreunden – dem Konzept der Aufklärung sind Position und Gestus des Wissenspriesters jedoch fremd. Die Schwäche Europas in der intellektuellen Auseinandersetzung mit vormodernen Denk- und Lebensformen gründet vielleicht darin, daß das Konzept der Wissenselite selbst vormoderne Züge trägt. Es schickt sich nicht, bei jeder Wertedebatte die Aufklärung als Kern der europäischen Identität zu beschwören und diese gleichzeitig freudig erregt wegen eines vermeintlichen Wettbewerbsvorteils preiszugeben. Wenigstens sollte man zu dem stehen, was man tut. Auch der weltweit agierende, neofeudale Kapitalismus und die ihm angeschlossenen Wissenschaften haben es verdient, beim Namen genannt zu werden: Es handelt sich um ein Projekt der Gegenaufklärung.
8.
Unterm Strich: Der Wert des Wissens
T RAUTE man den Versicherungen der Proponenten der Wissensgesellschaft, dann stellte das Wissen einen der höchsten Werte der modernen Gesellschaft dar. Keine Sonntagsrede, in der nicht beteuert wird, wie wichtig es sei, in Forschung und Entwicklung zu investieren, kein Wahlprogramm, das nicht im Wissen, Wissenswettbewerb und Wissensvorsprung die Sicherung der Zukunft verkündet, kein Handbuch für Wissensmanagement, das nicht im Umgang mit der neuen Ressource den Schlüssel für die Profite – vornehmer: Erfolge – der Unternehmen sieht.
Wissen, so scheint es, ist zu einem kostbaren Gut geworden, das aufwendig hergestellt, sorgsam gehegt und aufopfernd gepflegt wird. Tatsächlich aber wird die Hervorbringung, Aufbewahrung, Verteilung, Weitergabe und Anwendung des Wissens nach dem Modell der Produktion irgendeines beliebigen Gutes gedacht. Nur so kann es geschehen, daß Universitäten etwa die Steigerung ihrer Forschungsleistung kühn in Prozentsätzen angeben. Um Erkenntnisse kann es dabei wohl nicht gehen. Und im Gegensatz zu den ständigen Beteuerungen vom Wert des
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