Throne of Glass – Die Erwählte
Opium sich bis in die letzte Faser ihres Körpers ausbreitete. Die untergehende Sonne überflutete die Flure des Schlosses mit Rot-, Orange- und Goldtönen. Perrington hatte sie gebeten, beim Abendessen im Großen Saal an seinem Tisch zu sitzen. Normalerweise hätte sie es nie gewagt, vor solch einem öffentlichen Mahl zu rauchen, sie hatte jedoch den ganzen Nachmittag über quälende Kopfschmerzen gehabt, die einfach nicht besser geworden waren.
Der Flur schien sich endlos in die Länge zu ziehen. Kaltain achtete nicht auf die vorbeigehenden Höflinge und Dienstboten, sondern richtete ihre Aufmerksamkeit auf das schwächer werdende Tageslicht. Jemand kam ihr entgegen, ein schwarzer Fleck, der sich deutlichgegen das rotgoldene Licht abzeichnete. Schatten schienen aus ihm herauszusickern und sich über Steinboden, Fenster und Wände zu ergießen wie verschüttete Tinte.
Als er näher kam, wollte sie schlucken, aber ihre Zunge war bleischwer und trocken wie altes Pergament.
Jeder Schritt brachte ihn näher, machte ihn größer und breiter und ihr eigener Herzschlag toste ihr in den Ohren. Vielleicht war das Opium verdorben gewesen, vielleicht hatte sie diesmal zu viel geraucht. Durch das Hämmern in ihren Ohren und ihrem Kopf vernahm sie das säuselnde Geräusch von Flügeln.
Sie hätte schwören können, dass sie für Sekundenbruchteile Wesen sah, die in blitzschnellen, wilden Kreisen an ihm vorbeischossen, über ihm schwebten und warteten, warteten, warteten …
»Mylady«, sagte Cain und neigte den Kopf, als er an ihr vorbeiging.
Kaltain blieb stumm. Sie grub die Nägel in ihre verschwitzten Handflächen und ging zum Großen Saal weiter. Das Geräusch der schlagenden Flügel erstarb erst nach einer Weile, doch als sie am Tisch des Herzogs angekommen war, hatte sie es vollkommen vergessen.
~
Nach dem Abendessen saß Celaena Dorian gegenüber, zwischen ihnen ein Schachbrett. Der Kuss nach dem Ball vor zwei Tagen war gar nicht so übel gewesen. Um ehrlich zu sein, sogar ganz schön. Natürlich war der Kronprinz heute Abend wiedergekommen, hatte sie aber bisher weder auf die frischen Narben auf ihrer Hand noch auf den Kuss angesprochen. Und sie würde ihm nie und nimmer vom Ridderak erzählen. Sie mochte etwas für ihn empfinden, aber wenn er seinem Vater von der Macht der Wyrdzeichen undWyrdtore erzählte … Beim Gedanken daran gefror ihr das Blut in den Adern.
Wie sie ihn so ansah, sein Gesicht vom Feuerschein erhellt, konnte sie keine Ähnlichkeit mit seinem Vater entdecken. Nein, sie sah nur seine Freundlichkeit und Klugheit, und vielleicht war er einen Hauch zu eingebildet, aber … Celaena kraulte Fleetfoot mit den Zehen hinter den Ohren. Sie hätte erwartet, dass er sich fernhalten würde, dass er sich einer anderen Frau zuwandte, jetzt, wo er sich einen Vorgeschmack auf sie geholt hatte.
Aber war es ihm überhaupt um einen Vorgeschmack gegangen?
Dorian bewegte seine Hohepriesterin und Celaena lachte. »Seid Ihr Euch sicher?« Sein Gesicht verzog sich verwirrt und sie nahm ihren Bauern, rückte ihn diagonal vor und schlug seine Figur.
»Verdammt«, rief er aus und sie kicherte.
»Hier.« Sie gab ihm seine Figur. »Ihr habt noch einen Versuch.«
»Nein. Ich spiele wie ein Mann und stehe zu meinen Verlusten!«
Sie lachten, doch bald wurden sie still. Noch immer umspielte ein Lächeln ihre Lippen und er nahm ihre Hand. Eigentlich wollte sie sie wegziehen, konnte es aber irgendwie nicht. Er hielt ihre Hand über dem Brett, drückte sanft die Handfläche gegen ihre und verschränkte seine Finger mit ihren, dann lagen ihre verschlungenen Hände neben dem Schachbrett. Seine Hand war schwielig, aber fest.
»Zum Schachspielen braucht man zwei Hände«, sagte sie und fragte sich, ob ein Herz zerspringen konnte. Fleetfoot schnaubte und trottete davon, wahrscheinlich um unter dem Bett zu verschwinden.
»Eine reicht vollkommen.« Er bewegte eine Figur quer übers Brett. »Seht Ihr?«
Sie knabberte an der Lippe, zog die Hand immer noch nicht weg. »Werdet Ihr mich noch einmal küssen?«
»Ich würde gern.« Sie konnte sich nicht rühren, als er sich überden knarzenden Tisch immer weiter zu ihr beugte, bis seine Lippen ganz dicht vor ihren schwebten.
»Heute habe ich auf dem Flur zufällig Euren Vater getroffen«, stieß sie hervor.
Dorian richtete sich langsam wieder auf. »Und?«
»Es war in Ordnung«, log sie mit gesenktem Kopf. Seine Augen wurden schmal.
Er streckte den Arm aus und hob ihr Kinn.
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