Throne of Glass – Die Erwählte
auf ihren zu flachen Atem. Jetzt hingen sie direkt vor der Mauer. Der Boden war zehn Meter unter ihnen. Das Seil hatte gehalten.
»Lillian«, sagte Nox und schnappte nach Luft. Er drückte dasGesicht in ihr Haar. »Den Göttern sei Dank.« Aber der Jubel, der plötzlich unten ausbrach, übertönte seine Worte. Celaena zitterte so heftig, dass sie sich darauf konzentrieren musste, Nox nicht loszulassen, und ihr Magen rebellierte wie wild.
Sie waren immer noch mitten in der Prüfung – man erwartete, dass sie sie zu Ende brachten, und Celaena sah nach oben. Alle Champions hatten innegehalten, um zu beobachten, wie sie den abstürzenden Dieb rettete. Alle bis auf einen, der hoch über ihnen thronte.
Celaena beobachtete stumm, wie die Fahne heruntergerissen wurde und Cain sein Triumphgeheul ausstieß. Der Jubel schwoll an, als Cain für jeden sichtbar die Fahne schwenkte. Celaena kochte vor Wut.
Sie hätte locker gewonnen, wenn sie die leichte Route genommen hätte – sie wäre doppelt so schnell wie Cain gewesen. Aber Chaol hatte ihr ja ohnehin geraten, sie solle im Mittelfeld bleiben. Und ihr Weg war der beeindruckendere gewesen – so hatte sie viel besser zeigen können, was sie konnte. Cain hatte ein paar Sprünge gemacht und war ein bisschen an einem Seil herumgeschwungen wie ein Amateur. Und wenn sie die leichte Route genommen hätte und als Erste an der Fahne gewesen wäre, hätte sie Nox nicht retten können.
Sie biss die Zähne zusammen. Würde sie rechtzeitig wieder oben ankommen? Vielleicht konnte Nox das Seil nehmen und sie würde die Wand mit bloßen Händen hochklettern. Es gab nichts Schlimmeres als den zweiten Platz. Aber noch während sie das dachte, überwanden Verin, Grave, Pelor und Renault das letzte Stück bis zum Ziel und berührten es, bevor sie sich auf den Rückweg machten.
»Lillian, Nox, beeilt euch!«, rief Brullo. Celaena spähte nach unten zum Waffenmeister.
Wütend verzog sie das Gesicht und tastete mit den Füßen nach einem Halt in den Ritzen zwischen den Steinquadern. Ihre Haut, aufgeschürft und stellenweise blutend, brannte, als sie einen Spalt fand und ihre Zehen hineinquetschte. Vorsichtig, vorsichtig stemmte sie sich hoch.
Nox stieß mit seinen Beinen gegen ihre, als auch er nach einem Halt suchte. »Tut mir leid«, keuchte er.
»Kein Problem«, gab sie zurück. Zitternd und benommen kletterte sie die Mauer wieder hinauf und überließ es Nox, sich seinen eigenen Weg zu suchen. Es war dumm. Es war dumm gewesen, ihn zu retten. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?
~
»Kopf hoch!«, sagte Chaol und nahm einen Schluck Wasser aus seinem Glas. »Der achtzehnte Platz ist okay. Wenigstens Nox ist noch nach Euch platziert worden.«
Celaena erwiderte nichts und schob die Karotten auf ihrem Teller hin und her. Sie hatte zwei Bäder und ein ganzes Stück Seife gebraucht, um den Teer von ihren schmerzenden Händen und Füßen herunterzubekommen, und Philippa hatte dreißig Minuten damit zugebracht, alle ihre Wunden zu säubern und zu verbinden. Und obwohl das Zittern aufgehört hatte, konnte Celaena immer noch den Schrei und den dumpfen Schlag hören, als Ned Clement auf dem Boden gelandet war. Sein Leichnam war weggeschafft worden, noch bevor sie die Prüfung beendet hatte. Nur Neds Tod hatte Nox davor bewahrt, eliminiert zu werden. Grave war noch nicht einmal abgemahnt worden. Gegen schmutzige Tricks gab es keine Regeln.
»Ihr schneidet genauso ab, wie es vorgesehen war«, sprach Chaol weiter. »Auch wenn ich Eure beherzte Rettungsaktion nicht gerade unauffällig fand.«
Sie blitzte ihn an. »Nun, immerhin habe ich verloren.« Während Dorian ihr nach der Prüfung zu Nox’ Rettung gratuliert und der Dieb sie umarmt und ihr wieder und wieder gedankt hatte, hatte Chaol nur finster dreingeblickt. Riskante Rettungsaktionen gehörten offenbar nicht zum Repertoire einer Juwelendiebin.
Chaols braune Augen leuchteten golden in der Mittagssonne. »Habt Ihr in der Ausbildung nicht gelernt, würdevoll zu verlieren?«
»Nein«, gab sie säuerlich zurück. »Arobynn sagte immer, der zweite Platz sei nur eine nette Umschreibung für den ersten Verlierer.«
»Arobynn Hamel?«, fragte Chaol und setzte sein Glas ab. »Der König der Assassinen?«
Celaena sah zum Fenster und zu den dahinter kaum sichtbaren glitzernden Dächern von Rifthold. Ein seltsamer Gedanke, dass Arobynn sich in derselben Stadt aufhielt – dass er ihr so nah war. »Ihr wusstet, dass er mein Meister war,
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