Throne of Glass – Die Erwählte
oder?«
»Ich hatte es vergessen«, antwortete Chaol. Arobynn hätte sie dafür ausgepeitscht, dass sie Nox gerettet und damit ihre Sicherheit und ihren Platz in diesem Wettkampf aufs Spiel gesetzt hatte. »Hat er Euer Training persönlich überwacht?«
»Zuerst hat er mich selbst trainiert und dann Lehrer aus ganz Erilea geholt. Kampfmeister aus den Reisfeldern im Süden, Giftexperten aus dem Bogdano Jungle … Einmal hat er mich sogar zu den Schweigenden Assassinen in die Red Desert geschickt. Kein Preis war ihm zu hoch. Oder mir«, fügte sie hinzu und befühlte den feinen Stoff ihres Morgenmantels. »Als ich vierzehn war, hat er mir eröffnet, dass ich ihm alles zurückzahlen muss.«
»Er hat Euch ausgebildet und Euch dann dafür bezahlen lassen?«
Sie zuckte mit den Schultern, konnte den aufsteigenden Ärger aber nicht verbergen. »Bei den Kurtisanen läuft es auch so: Sie werden als kleine Mädchen aufgenommen und bleiben an ihr Bordellgebunden, bis sie jede Münze zurückgezahlt haben, die man in Ausbildung, Unterhalt und Garderobe gesteckt hat.«
»Das ist widerwärtig«, schnaubte er und Celaena war überrascht über die Wut in seiner Stimme – eine Wut, die ausnahmsweise einmal nicht gegen sie gerichtet war. »Habt Ihr es zurückbezahlt?«
Auf dem Gesicht der Assassinin breitete sich ein kaltes Lächeln aus, das ihre Augen nicht erreichte. »Oh, bis auf den letzten Cent. Und dann ist er losgezogen und hat alles ausgegeben. Über fünfhunderttausend Goldmünzen. In drei Stunden war alles weg.« Für eine Sekunde sah es so aus, als wollte Chaol aufspringen. Celaena schluckte die Erinnerung so tief hinunter, dass sie nicht mehr wehtat. »Ihr habt Euch immer noch nicht entschuldigt«, sagte sie, um das Thema zu wechseln, bevor Chaol weitere Fragen stellte.
»Mich entschuldigt? Wofür?«
»Für die ganzen schrecklichen Sachen, die Ihr gestern Nachmittag gesagt habt, als ich mit Nehemia trainiert habe.«
Anstatt dies einfach zu ignorieren, erwiderte er mit zusammengekniffenen Augen: »Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich die Wahrheit gesagt habe.«
»Die Wahrheit? Ihr habt mich behandelt wie eine durchgeknallte Verbrecherin!«
»Und Ihr habt gesagt, Ihr würdet mich mehr hassen als jeden anderen Menschen auf der Welt.«
»Genauso habe ich das auch gemeint.« Doch ein Lächeln begann an ihren Mundwinkeln zu zupfen – und bald spiegelte es sich auch in Chaols Gesicht. Er warf ein Stück Brot nach ihr, das sie mit einer Hand schnappte und zurückwarf. Er fing es mit Leichtigkeit auf. »Idiot!«, sagte sie, jetzt grinsend.
»Durchgeknallte Verbrecherin«, gab er ebenfalls grinsend zurück.
»Ich hasse Euch wirklich.«
»Zumindest habe ich keinen achtzehnten Platz gemacht«, sagteer. Celaena spürte, wie sich ihre Nasenflügel blähten, und Chaol konnte gerade noch dem Apfel ausweichen, den sie ihm an den Kopf schleuderte.
Erst später brachte Philippa die Neuigkeit. Den Champion, der nicht zur Prüfung erschienen war, hatte man tot auf einer Dienstbotentreppe gefunden, brutal zerfleischt und in Stücke gerissen.
~
Der neue Mord überschattete die nächsten zwei Wochen und die beiden Prüfungen, die sie mit sich brachten. Celaena bestand sie – Tarnen und Spuren suchen –, ohne allzu viel Aufmerksamkeit auf sich zu lenken oder ihren Hals zu riskieren, um jemanden zu retten. Glücklicherweise wurden keine weiteren Champions ermordet. Celaena ertappte sich trotzdem dabei, wie sie ständig hinter sich blickte, während Chaol die beiden Morde als bedauerliche Zwischenfälle abzutun schien.
Beim Lauftraining wurde sie jeden Tag besser, sie lief weiter und schneller, und außerdem schaffte sie es, Cain nicht zu erwürgen, wenn er sie beim Üben verhöhnte. Der Kronprinz ließ sich nicht wieder in ihren Gemächern blicken. Sie sah ihn nur bei den Prüfungen, wo er sie meist angrinste und ihr zuzwinkerte, was ein lächerliches Kribbeln und ein Gefühl von Wärme in ihr auslöste.
Aber sie hatte eigentlich ganz andere Sorgen. Bis zu den beiden letzten Zweikämpfen blieben nur noch neun Wochen und einige Kandidaten, darunter auch Nox, machten ihre Sache so gut, dass es für diese vier Plätze allmählich eng wurde. Cain wäre definitiv dabei, aber wer würde noch in die Endrunde kommen? Sie war absolut davon überzeugt gewesen, dass sie es schaffen würde.
Ehrlich gesagt war sie sich inzwischen nicht mehr so sicher.
23
C elaena starrte auf den Boden. Sie kannte diese spitzen, grauen
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