Throne of Glass – Die Erwählte
Schüsselchen. Jetzt brauchte sie nur noch einen – nein, drei große Löffel Zucker und ein bisschen warme Sahne und –
»Geht Ihr in den Gottesdienst?«
»Ich darf in den Gottesdienst, aber nicht zum Bankett?« Sie aß einen Löffel Haferbrei.
»Niemandem sollte die Ausübung seiner Religion verweigert werden.«
»Und das Bankett …?«
»Dient der Zurschaustellung von Reichtum.«
»Ah, ich verstehe.« Sie nahm noch einen Löffel. Oh, sie liebte Haferbrei! Aber vielleicht brauchte er noch ein bisschen Zucker.
»Nun? Geht Ihr? Falls ja, müssen wir bald los.«
»Nein«, sagte sie mit vollem Mund.
»Riskiert Ihr nicht, die Götter zu verärgern, wenn Ihr nicht teilnehmt? Ich dachte, eine Assassinin hätte mehr Interesse am Tag der Toten.«
Sie schnitt eine verrückte Grimasse und aß weiter. »Ich ehre die Götter auf meine eigene Weise. Vielleicht bringe ich ihnen selbst ein oder zwei Opfergaben.«
Chaol erhob sich und tätschelte dabei sein Schwert. »Passt auf Euch auf, während ich fort bin. Und macht Euch nicht die Mühe, Euch allzu raffiniert zu kleiden – Brullo sagte, heute Nachmittag würde das Training fortgesetzt. Morgen ist die nächste Prüfung.«
»Morgen schon? War die letzte nicht erst vor drei Tagen?«, stöhnte sie. Die letzte Prüfung hatte in Speerwerfen zu Pferd bestanden und ihr tat noch das Handgelenk weh.
Aber sie erhielt keine Antwort und in ihren Räumen wurde esstill. Obwohl sie versuchte, es zu verdrängen, konnte sie das Peitschenknallen noch immer hören.
~
Froh, dass der Gottesdienst endlich vorbei war, schritt Dorian Havilliard allein über das Schlossgelände. Er konnte der Religion nichts abgewinnen, weder mit dem Kopf noch mit dem Herzen, und nachdem er stundenlang auf einer Kirchenbank gesessen und ein Gebet nach dem anderen gemurmelt hatte, brauchte er dringend frische Luft. Und Einsamkeit.
Er seufzte durch die zusammengebissenen Zähne, massierte kurz seine Schläfen und ging in Richtung Garten. Er kam an einem Grüppchen Damen vorbei, die alle knicksten und hinter ihren Fächern kicherten. Dorian nickte ihnen im Vorbeigehen kurz zu. Seine Mutter hatte den Gottesdienst genutzt, um ihn auf alle heiratswürdigen Damen aufmerksam zu machen. Er hatte sich wirklich beherrschen müssen, um nicht laut aufzuschreien.
Als er um eine Hecke bog, wäre er fast mit einer Gestalt in einem blaugrünen Samtkleid zusammengestoßen. Es hatte die Farbe eines Bergsees – dieser edelsteinartige Farbton, der keinen richtigen Namen hatte. Ganz abgesehen davon war der Schnitt seit etwa hundert Jahren aus der Mode. Dorian blickte der Trägerin ins Gesicht und lächelte.
»Lady Lillian«, sagte er mit einer Verbeugung und wandte sich dann ihren beiden Begleitern zu. »Prinzessin Nehemia. Captain Westfall.« Wieder musterte der Kronprinz das Kleid der Assassinin. Der in vielen Falten geraffte Stoff – wie das wallende Wasser eines Flusses – kleidete sie ziemlich gut. »Ihr seht festlich aus.« Celaena kniff die Augenbrauen zusammen.
»Lady Lillians Dienerinnen waren im Gottesdienst, als sie sichankleiden wollte«, sagte Chaol. »Es stand nichts anderes zur Verfügung.« Natürlich; ein Korsett konnte man nur mit fremder Hilfe an- und ausziehen – und die üblichen Kleider waren geradezu gespickt mit unsichtbaren Häkchen und Bändern.
»Ich bitte um Vergebung, mein Herr Prinz«, sagte Celaena. Ihre Augen funkelten hell und zornig und Röte überzog ihre Wangen. »Ich bin untröstlich, dass meine Kleidung nicht Eurem Geschmack entspricht.«
»Nein, nein«, sagte er hastig und sah zu ihren Füßen hinunter. Sie steckten in roten Schuhen – rot wie die Winterbeeren, die sich allmählich an den Sträuchern zeigten. »Ihr seht sehr schön aus. Nur ein bisschen … aus der Zeit gefallen.« Nicht nur ein bisschen, sondern um Jahrhunderte. Sie bedachte ihn mit einem wütenden Blick. Er wandte sich Nehemia zu. »Verzeiht mir«, sagte er in seinem besten Eyllwe, mit dem es allerdings nicht weit her war. »Wie geht es Euch?«
Ihre Augen funkelten belustigt über seinen lausigen Versuch, aber sie nickte anerkennend. »Es geht mir gut, Eure Hoheit«, antwortete sie in seiner Sprache. Dorians Aufmerksamkeit richtete sich auf ihre beiden Wachen, die im nahen Schatten warteten und alles achtsam beobachteten. Dorian hörte sein Blut in den Adern rauschen.
Herzog Perrington drängte schon seit Wochen darauf, mehr Streitkräfte nach Eyllwe zu bringen und den Aufstand so gründlich zu
Weitere Kostenlose Bücher