Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre
Goldfischglas. Die Würmer ließen sich nicht zweimal bitten und hatten sich im Nu um den Papierfetzen geschart. Doch statt ihn zu fressen, wimmelten sie aufgeregt durcheinander und untersuchten den Eindringling mit lebhaftem Interesse, wie es schien.
»Die Würmer bei mir in London mochten auch kein Papier …«
»Pssst!« zischte mein Onkel und winkte mich näher heran.
Verblüffend!
»Was denn?« fragte ich leicht verwirrt, doch als ich Mycrofts Lächeln sah, wurde mir klar, daß nicht er gesprochen hatte.
Erstaunlich!
murmelte die Stimme leise.
Unglaublich!
Überwältigend! Unbeschreiblich!
Ich starrte stirnrunzelnd auf die Würmer, die einen Ring um den Papierfetzen gebildet hatten und sanft pulsierten.
Herrlich!
murmelten die Bücherwürmer.
Phantastisch!
Beeindruckend!
»Wie findest du sie?« fragte Mycroft.
»Thesaurusmaden – Onkel, du verblüffst mich immer wieder.«
Doch Mycroft war mit einem Mal todernst. »Das ist mehr als ein bloßer Bio-Thesaurus, mein liebes Kind. Diese kleinen Kerlchen haben Sachen drauf, die du kaum glauben wirst.«
Er öffnete einen Schrank und holte ein großformatiges, in Leder gebundenes Buch daraus hervor, auf dessen Rücken in Gold die Buchstaben PP prangten. Der Band war reich verziert und mit schweren Messingbändern gesichert. An der Oberseite befanden sich allerlei Regler und Knöpfe, Hebel und Schalter. Es bot einen durchaus beeindruckenden Anblick, aber Mycrofts Erfindungen waren keineswegs immer so zuverlässig und nützlich, wie sie auf den ersten Augenblick aussahen. Anfang der siebziger Jahre zum Beispiel hatte er eine wunderschöne Maschine entwickelt, die nichts Aufregenderes tat, als mit bestürzender Genauigkeit die Anzahl von Kernen in einer ungeöffneten Orange vorherzusagen.
»Was ist das?«
»Das«, begann Mycroft strahlend und mit stolzgeschwellter Brust, »ist ein …«
Doch er kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden. Denn genau in diesem Augenblick rief Tante Polly vom Haus herüber:
»Abendessen!«, und Mycroft lief eilig zur Tür. Er murmelte halblaut »Hoffentlich gibt’s Würstchen« und bat mich, beim Hinausgehen das Licht auszumachen. Ich blieb allein in seiner leeren Werkstatt zurück.
Mycroft hatte sich wahrhaftig selbst übertroffen.
Traumhaft!
pflichteten die Bücherwürmer bei. Das Abendessen ging friedlich über die Bühne. Wir hatten vieles nachzuholen, meine Mutter erzählte vom Hausfrauenbund. »Letztes Jahr haben wir fast siebentausend Pfund für Chrono-Garden-Waisen gesammelt«, sagte sie.
»Sehr gut«, antwortete ich. »Für Spenden ist SpecOps immer dankbar, obwohl man gerechterweise sagen muß, daß andere Abteilungen weitaus schlechter dran sind als die Chrono-Garde.«
»Ich weiß«, erwiderte meine Mutter, »aber daß das alles so geheim ist. Was treiben die bloß alle?«
»Glaub mir, das weiß ich genausowenig wie du. Reichst du mir mal den Fisch?«
»Welchen Fisch?« fragte meine Tante. »Du hast deine Nichte doch nicht etwa als Versuchskaninchen mißbraucht, Crofty?«
Mein Onkel tat, als habe er nichts gehört; ich blinzelte, und der Fisch verschwand.
»Die einzige andere Abteilung unter SO-20, die ich kenne, ist SO-6«, setzte Polly hinzu. »Das war der Staatsschutz. Und auch das wissen wir nur, weil er sich seinerzeit so rührend um Mycroft gekümmert hat.«
Sie knuffte ihn in die Rippen, doch er beachtete sie nicht; er kritzelte ein Rezept für »gefundene Eier« auf eine Serviette.
»Ich glaube, in den Sechzigern verging nicht eine Woche, ohne daß er von der einen oder anderen ausländischen Macht gekidnappt worden wäre.« Polly seufzte wehmütig und dachte mit einem Anflug von Nostalgie an die gute alte Zeit zurück.
»Manches muß aus ermittlungstaktischen Gründen geheimgehalten werden«, plapperte ich wie ein Papagei. »Geheimhaltung ist unsere schlagkräftigste Waffe.«
»Im
Mole
habe ich gelesen, daß SpecOps angeblich von Geheimbünden unterwandert ist, besonders von Wombats«, murmelte Mycroft und verstaute die fertige Gleichung in seiner Jackentasche.
»Stimmt das?«
Ich zuckte die Achseln. »Nicht mehr als anderswo, nehme ich an.
Ich habe noch nichts davon gemerkt, aber die Wombats interessieren sich ohnehin nicht für Frauen.«
»Das ist doch ungerecht«, sagte Polly mißbilligend. »Natürlich bin ich für Geheimbünde – je mehr, desto besser –, aber ich finde, sie sollten allen offenstehen, Männern
und
Frauen.«
»Es reicht doch, wenn Männer Mitglied werden«, entgegnete
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