Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre
Wagen eigentlich … ja, schau dir das an!«
Mit wachsendem Erstaunen beobachtete ich, wie sich der Wagen vor meinen Augen in Luft auflöste; die Flüssigkristallbeschichtung imitierte die Grau-und Brauntöne von Mycrofts Werkstatt. Binnen Sekunden hatte sich der Wagen seiner Umgebung vollständig angepaßt. Ich dachte daran, wieviel Spaß es machen würde, Verkehrspolizisten damit zu ärgern.
»Ich habe es Chameleo-Car getauft; ziemlich spaßig, nicht?«
»Sehr sogar.«
Ich streckte die Hand aus und berührte die warme Oberfläche des unsichtbaren Rolls-Royce. Ich wollte Mycroft fragen, ob er auch meinem Speedster eine solche »Tarnkappe« verpassen konnte, aber dazu war es schon zu spät; von meinem Interesse angestachelt, war er zu einem großen Sekretär getrottet und winkte mich aufgeregt zu sich.
»Übersetzungskohlepapier«, verkündete er und deutete auf mehrere Stapel grellbunter Metallfolien. »Ich nenne es Rosette-Papier.
Vorführung gefällig? Man nehme ein einfaches Blatt Papier, unterlege dies mit einem Spanisch-Kohlepapier, ein zweites Blatt Papier – immer schön darauf achten, daß es mit der richtigen Seite nach oben liegt! –, Polnisch, dann noch ein Blatt Papier, Deutsch, noch ein Blatt und schließlich Französisch und das letzte Blatt …
fertig
.«
Er rückte den Stapel auf dem Schreibtisch zurecht, während ich mir einen Stuhl heranzog.
»Schreib etwas auf das erste Blatt. Was du willst.«
»Egal was?«
Mycroft nickte, und ich schrieb:
Have you seen my Dodo?
»Und jetzt?«
Mycroft schaute triumphierend drein. »Schau nach, liebes Kind.«
Ich hob das oberste Blatt Kohlepapier ab, und da stand in meiner eigenen Schrift: ¿
Ha visto mi dodo?
»Das ist ja phantastisch!«
»Danke«, antwortete mein Onkel. »Und jetzt das nächste!«
Unter dem Polnisch-Papier stand:
Gdzie jest moj dodo?
»Ich arbeite noch an Hieroglyphen und der demotischen Schrift«, erklärte Mycroft, während ich die deutsche Übersetzung las:
Haben Sie meinen Dodo gesehen?
»Mit den Maya-Codices hatte ich so meine Schwierigkeiten, aber Esperanto kriege ich einfach nicht hin. Keine Ahnung, warum.«
»Dafür gibt es
Dutzende
von Anwendungsmöglichkeiten«, stieß ich hervor, während ich das letzte Blatt aufdeckte und zu meiner großen Enttäuschung las:
Mon aardvark n’a pas de nez.
»Moment mal, Onkel.
Mein Erdferkel hat keine Nase?
«
Mycroft sah mir über die Schulter und stöhnte. »Da hast du wahrscheinlich nicht fest genug aufgedrückt. Du bist doch bei der Polizei, nicht wahr?«
»SpecOps, um genau zu sein.«
»Dann
könnte
dich das hier interessieren«, verkündete er und winkte mich vorbei an weiteren wundersamen Gerätschaften, deren Zweck sich bestenfalls erahnen ließ. »Am Mittwoch führe ich diese Maschine dem Polizeiausschuß für technischen Fortschritt vor.«
Neben einem Apparat mit großem Trichter, der aussah wie ein altes Grammophon, blieb er stehen und räusperte sich. »Das ist mein Olfaktograph. Es funktioniert nach einem ganz einfachen Prinzip. Wie dir jeder Bluthund, der sein Geld wert ist, versichern wird, ist der Geruch eines Menschen ebenso einzigartig wie sein Daumenabdruck, woraus folgt, daß eine Maschine, die in der Lage ist, einen Straftäter anhand seines Körpergeruchs zu identifizieren, vor allem dort von Nutzen ist, wo andere erkennungsdienstliche Methoden versagen. Ein Dieb mag Handschuhe und Maske tragen, aber seinen Geruch, den kann er nicht verbergen.«
Er zeigte auf den Trichter.
»Die Gerüche werden hier hineingesaugt und von einem Olfaktoskop, dem von mir erfundenen Analysegerät des Olfaktographen, in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt und analysiert, woraus sich ein unverwechselbarer ›Duftabdruck‹ des Täters ergibt.
Das Gerät kann die Gerüche von zehn verschiedenen Personen, die sich in ein und demselben Raum befinden, auseinanderhalten, und wenn jemand verschiedene Gerüche ausströmt, kann sie das Olfaktoskop zeitlich einordnen. Es kann dreißig verschiedene Zigarrenmarken unterscheiden, und den Geruch nach verbranntem Toast erkennt es noch nach sechs Monaten.«
»Könnte nützlich sein«, sagte ich zweifelnd. »Und was ist das hier?«
Ich deutete auf ein Gebilde, das aussah wie ein mit Weihnachtsschmuck behängter Messinghut.
»Ach ja«, sagte mein Onkel, »das gefällt dir bestimmt.«
Er stülpte mir den Messinghut über den Kopf und legte einen großen Schalter um. Ein Summen erfüllte den Raum.
»Und jetzt?« fragte ich.
»Mach die
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