Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre
Augen zu und atme tief durch. Versuch, an nichts zu denken.«
Ich schloß die Augen und wartete geduldig.
»Funktioniert’s?« fragte Mycroft.
»Nein«, antwortete ich und rief: »Warte!«, als ich einen Stichling vorbeischwimmen sah. »Da ist ein Fisch. Direkt vor meiner Nase.
Warte, da ist noch einer!« Nicht lange, und vor meinen geschlossenen Augen schwamm ein ganzer Schwarm bunter Fische herum. Es war eine Schleife; etwa alle fünf Sekunden sprangen die Fische zum Ausgangspunkt zurück und wiederholten ihre Bewegungen.
»Unglaublich!«
»Entspann dich, sonst verschwinden sie«, sagte Mycroft beruhigend.
»Versuch’s mal damit.«
Die Unterwasserszene verwandelte sich, fast zu schnell fürs bloße Auge, in ein pechschwarzes Sternenfeld; es war, als flöge ich durchs All.
»Oder damit«, sagte Mycroft und ließ eine Parade geflügelter Toaster vorüberflattern. Ich schlug die Augen auf, und das Bild verschwand. Mycrofts Blick war ernst.
»Gefällt’s dir?« fragte er.
Ich nickte.
»Ich nenne es den Netzhaut-Schoner. Sehr praktisch bei langweiliger Arbeit; statt geistesabwesend aus dem Fenster zu starren, kann man seine Umgebung in eine Landschaft aus beruhigenden Bildern verwandeln. Sobald das Telefon klingelt oder der Chef hereinkommt, braucht man nur zu blinzeln und –
zack!
– ist man wieder im Hier und Jetzt.«
Ich gab ihm den Hut zurück.
»Wird bei Smiley-Burger garantiert ein Renner. Wann geht das Ding in Serie?«
»Ich weiß nicht genau; er hat noch die eine oder andere Macke.«
»Wie zum Beispiel?« fragte ich, hellhörig geworden.
»Mach die Augen zu und sieh selbst.«
Ich gehorchte, und ein Fisch schwamm vorbei. Beim nächsten Blinzeln sah ich einen Toaster. Der Netzhaut-Schoner war eindeutig noch nicht ausgereift.
»Keine Sorge«, versicherte er mir. »Das geht in ein paar Stunden vorbei.«
»Das Olfaktoskop war mir lieber.«
»Das Beste kommt noch!« sagte Mycroft und tänzelte zu einem großen, mit Werkzeug und Maschinenteilen übersäten Arbeitstisch.
»Dieses Gerät ist meine wahrscheinlich sensationellste Entdeckung.
Es ist der einsame Höhepunkt meiner dreißigjährigen Arbeit und ein biotechnologisches Wunderwerk. Wenn du erst dahinterkommst, worum es geht, dann flippst du aus, das garantiere ich dir!«
Mit einer schwungvollen Bewegung zog er ein Geschirrhandtuch von einem Goldfischglas, in dem sich Unmengen von Fruchtfliegenlarven tummelten.
»Maden?«
Mycroft lächelte. »Von wegen Maden, mein liebes Kind.
Bücherwürmer sind das!
«
Seine Stimme vibrierte so sehr vor Stolz und Zuversicht, daß ich mich unwillkürlich fragte, ob mir womöglich etwas entgangen war.
»Ist das gut?«
»Sehr gut sogar, Thursday. Diese Würmer sehen zwar
aus
wie leckeres Forellenfutter, aber jedes dieser kleinen Kerlchen ist genetisch derart komplex, daß der Gencode deines Dodos dagegen wie der Einkaufszettel von Polly aussieht!«
»Moment mal, Onkel«, wandte ich ein. »Haben sie dir nach der Geschichte mit den Garnelen nicht die Splicense entzogen?«
»Ein kleines Mißverständnis«, sagte er mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Diese Idioten von SpecOps-13 haben ja keine Ahnung von der Bedeutung meiner Arbeit.«
»Und worum geht es diesmal?« fragte ich pflichtschuldig.
»Um die Speicherung möglichst vieler Informationen auf kleinstem Raum. Ich habe die besten Wörterbücher, Thesauri und Lexika sowie Studien zur Grammatik, Morphologie und Etymologie der englischen Sprache zusammengetragen und sie in die DNA dieser winzigen Würmer integriert. Ich nenne sie Hyper-Bücherwürmer. Du wirst mir hoffentlich zustimmen, daß das ein bemerkenswerter Erfolg ist.«
»Natürlich. Aber wie zapfst du diese Informationen an?«
Mycroft machte ein betrübtes Gesicht.
»Wie gesagt, ein bemerkenswerter Erfolg, mit einem winzigen Nachteil. Aber die Sache hat sich quasi von selbst erledigt; einige meiner Würmer konnten entkommen und paarten sich mit anderen, die ich zuvor mit einem kompletten Satz enzyklopädischer, historischer und biographischer Nachschlagewerke gefüttert hatte; das Resultat war eine neue Art, die ich auf den Namen
Hyper
Bücherwurm-Plus getauft habe. Diese Burschen sind die
eigentlichen
Stars in der Show.«
Er holte ein Blatt Papier aus einer Schublade, riß eine Ecke ab und schrieb »bemerkenswert« auf den kleinen Fetzen.
»Nur um dir einen
Eindruck
davon zu vermitteln, was diese Tierchen alles können.« Mit diesen Worten warf er den Zettel in das
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