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Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt

Titel: Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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die Hegemonie Tiamat regierte. Hier hatten die meisten Außenweltler gelebt, ihre Geschäfte abgewickelt, Vergnügungen und Laster gekauft wie feilgeboten. Noch immer gab es hier viele Läden und Werkstätten.
    Er spähte in die einzelnen Gassen hinein, die von der spiralig nach unten führenden Hauptstraße abzweigten. Jede war angeblich nach einer Farbe benannt – es gab mehr Farbtöne, als er es sich hätte träumen lassen, selbst in dieser von Wasser dominierten Welt, an deren Himmel täglich Regenbogen schillerten. Die Hälfte der Farben konnte er immer noch nicht bestimmen, ebensowenig wie die Sprache, in der sie ursprünglich abgefaßt waren. Er hatte auch keine Ahnung, warum man die Straßen nach einem Farbschema unterteilte. Vielleicht waren die Gründer der Stadt, die dem Alten Imperium angehörten, vom Anblick des Himmels begeistert, an dem sich unentwegt Regenbogen bildeten und verblaßten, und der des Nachts im Sternenfeuer brannte.
    Am Eingang zur Zitronenallee blieb er stehen; früher war sie ganz in gelbgrüner Farbe gehalten gewesen, die man auch jetzt noch an Fensterläden, Türen und manchen Hausfassaden sehen konnte. Hier hatte er zuerst gewohnt, nachdem er in die Stadt gekommen war, ein siebzehnjähriger Knabe, frisch von den Windwärtigen Inseln. Auch Fate Ravenglass lebte hier, zuerst als Maskenmacherin, jetzt als Sibylle. Sie hatte sich sein Flötenspiel angehört und ihn gelehrt, als Straßenmusikant zu überleben. Sie hatte ihn bei sich aufgenommen und ihm Schutz gewährt, bis Arienrhod ihn fand und für sich beanspruchte.
    Selbst nachdem er der Favorit der Königin geworden war, ihr Gemahl und ihre Kreatur, der Starbuck, war er hierher zurückgekehrt. Auch als er die heiligen Mers abschlachtete und das Wasser des Lebens trank, suchte er immer wieder diese Allee auf, wenn er sich selbst nicht mehr ertragen konnte und eine Zuflucht brauchte. Er besuchte Fate, deren Augen so gut wie nichts, deren Seele jedoch alles sah, aber die niemals verurteilte.
    Er hatte sich immer gewundert, wieso sie ihn stets in ihrem Haus willkommen hieß. Daß sie eine Sibylle war, die einzige in Karbunkel, hatte er lange nicht gewußt. Sie verbarg ihr Geheimnis vor den Winterleuten und den Außenweltlern gleichermaßen – so wie Starbuck zur Tarnung seiner wahren Identität eine Maske trug und sich in Schwarz kleidete. Während sie jedoch ihr Geheimnis hütete, um einem höheren Zweck zu dienen, hatte er sich eine verlogene Maskerade zugelegt, um unerkannt Verrat und Mord zu begehen.
    Kopfschüttelnd trat er aus dem Schatten heraus und bog in die Zitronenallee ein. Schon lange hatte er Fate nicht gesehen, und heute wollte er sie aus einem bestimmten Grund besuchen.
    Die Gebäude nahe der Straßenkreuzung beherbergten ein paar Geschäfte; ein Stück weiter jedoch lagen abgesperrte und verlassene Gebäude, die mit der unendlichen Geduld lebloser Materie auf die Rückkehr ihrer einstigen Bewohner warteten. Durch die transparenten Sturmwälle glühte der Sonnenuntergang; so weit nördlich senkte sich die Dämmerung erst spät herab. Indem der Sommer seinem Höhepunkt zustrebte, wurden die Tage länger, und das System näherte sich wieder der Schwarzen Pforte. Je weiter er in die Allee vordrang, desto weniger Menschen begegneten ihm. Als er endlich vor Fates Haus stand, war er ganz allein – und froh darüber.
    Er klopfte an die Tür, zuerst leise, und als keine Antwort kam, lauter. Nichts rührte sich; das dünne Miauen ihrer altersschwachen Katze sagte ihm, daß sie nicht daheim war. Leise fluchend fragte er sich, wo sich eine blinde Frau zu dieser vorgerückten Stunde wohl aufhalten mochte. Wahrscheinlich saß sie mit Tor Starhiker in irgendeiner Taverne und hörte Musik. Er wußte, daß sie das manchmal tat. Er glaubte sogar zu wissen, in welcher Kaschemme sie sich jetzt aufhielt. Aber er hatte keine Lust, ausgerechnet an diesem Abend, wo all die Erinnerungen an sein früheres Leben auf ihn eindrängten, Tor Starhiker zu begegnen.
    Er ging zur Straße zurück; an der Ecke blieb er stehen und starrte nach oben. Zurück zum Palast wollte er noch nicht. Er holte tief Luft und lief planlos weiter. Er wußte nicht, wohin er gehen und an wen er sich wenden sollte.
    Er dachte an die kommende Nacht, wenn er in der Dunkelheit liegen und seine Schlafstatt mit Arienrhods Geist teilen würde. Wenn sie ihre kalten Arme um ihn legte, wurde sein Fleisch taub, und die Erinnerungen an das, was sie zusammen getrieben hatten raubten

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