Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
Geräusche auf Ngenets Plantage; neben ihr lag Funke und schlief friedlich. Ihr war schwindlig gewesen, und sie atmete schwer, wie nach einem Sibyllentransfer; aber auf diese Weise fand ein Transfer nie statt. Etwas Unmögliches war geschehen, also konnte sie das Ganze nur geträumt haben, auch wenn dieser Traum sich von allen anderen unterschied, in denen
er
vorkam.
Eine ohnmächtige Sehnsucht ergriff von ihr Besitz, wie damals, als sie auf einer fremden Weit im Körper einer anderen Frau gefangen war, und seine hungrigen Lippen auf den ihren spürte. In aller Deutlichkeit erinnerte sie sich, welches Fieber sie in jener Nacht vor vielen Jahren verzehrt hatte – so heiß und übermächtig, daß ihre Seele dahinschmolz. Damals hatte die Leidenschaft eines Fremden ihre Schwüre zu Asche verbrannt.
Sie öffnete die Augen und sah sich in ihrem Arbeitszimmer um: überall stapelten sich Dokumente und Verträge, die ihr das Leben vergällten. Stocksteif stand sie da und wartete darauf, daß sie zu zittern aufhörte.
Hinter ihr betrat jemand das Zimmer; sie drehte sich um und sah Funke in der Tür stehen. Er betrachtete das Chaos in ihrer Umgebung.
»Mond«, sagte er leise; er zögerte, wie wenn er etwas in ihren Augen sähe, womit er lieber nicht konfrontiert werden wollte. Er senkte den Blick, und als er wieder hochschaute, merkte sie, daß sein Zweifel verschwunden war.
»Wie geht es dir?« fragte sie. Seine schlechte Laune nahm sie ihm nicht mehr übel, sie sah nur noch, daß er müde war und sie brauchte. Sie ging zu ihm hin, ließ sich von ihm in die Arme nehmen und lehnte sich gegen ihn.
»Jetzt geht es mir schon viel besser«, murmelte er. Sie wußte daß ihre Nähe ihm guttat, und daß nicht die Rückkehr in die Stadt und in den leeren, hallenden Palast seine Stimmung gehoben hatte. »Die Zwillinge sind wunderbar, weißt du das? Ich staune immer wieder, wie sehr sie gewachsen sind, manchmal kann ich kaum glauben, daß wir schon so große Kinder haben.« Dann fuhr er eilig fort: »Als Ariele den Strand entlanglief, sah sie genauso aus wie du. Sie ist von Natur aus sehr musikalisch, hast du sie schon spielen hören?«
»Tammis hat Angst, du könntest vergessen, ihm eine Flöte zu machen.« Sie bemühte sich, die Worte nicht verletzend klingen zu lassen. »Es ist nicht fair, daß Ariele auf deiner Flöte spielen darf, und er hat keine.«
»Es tut mir leid, ich mach's wieder gut.« Er gab sie frei und holte tief Luft. »In den letzten Tagen war ich nicht ich selbst. Ich habe mir Mühe gegeben, aber ich weiß, daß ich mich schändlich benommen habe, das hat keiner von euch verdient. Aber du kannst dir sicher denken, was mit mir los war.«
»War es wegen dem Merling?
Er rieb sich mit der Hand das Gesicht. »Jedesmal, wenn Ngenet mich anschaute, spürte ich seinen unausgesprochenen Vorwurf. Für ihn bin und bleibe ich der Starbuck. Ich durfte nicht mal in die Nähe des Merlings kommen, er tat, als sei meine bloße Anwesenheit im Zimmer Gift für das Baby. Für das, was ich den Mers und ihm angetan habe, wird er mich immer hassen. Er kann gar nicht anders.«
Sie legte die Hand auf seinen Arm, während sich ihr Herz vor Mitleid verkrampfte. Wieder einmal spürte sie den kalten Atem des Winters, der ihnen entgegenblies. »Er wollte niemanden in die Nähe des Merlings lassen, bevor er nicht genau wußte, was ihm fehlte, und ob er überleben würde. Aber er hat sich doch für deine Forschung über die Gesänge der Mers interessiert.«
»Nur damit er mir sagen konnte, daß alles Unsinn ist.«
»Vielleicht war er auch nur neidisch, weil du die Aufzeichnungen neu interpretieren konntest, nachdem er sich jahrelang ergebnislos damit beschäftigt hatte. Aber du gabst ihm gar keine Chance.« Sie ließ seinen Arm los. »Nachdem er dir gesagt hat, du sollst das Zimmer verlassen, hast du keine drei Worte mehr mit ihm geredet.«
»Ich hatte Angst, verdammt noch mal. Willst du das hören?« Kopfschüttelnd ballte er die Fäuste. »Außerdem konnte ich es nicht ertragen, so dicht neben einem Merling zu stehen, in dem Moment wollte ich nicht mal an die Mers denken. Auch in ihren Augen sehe ich nur Furcht – niemals Verzeihen.« Er wandte sich ab, ein gehetzter Mann.
»Funke ...«, flüsterte sie. »Arienrhod ist tot! Die Vergangenheit ist tot. Der Starbuck ist tot. Erinnerst du dich an die letzte Nacht, an den Wandel? An die Nacht der Masken? Und an den nächsten Morgen, als ...«
– Als wir Arienrhod ins Meer schickten.
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