Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
Hand zu ignorieren und sich auf das zu konzentrieren, was er sah. Er wollte sich mit dem Ort vertraut machen, der fortan seine Heimat sein würde, ob es ihm paßte oder nicht. Aber immer wieder mußte er Reedes maskenhaftes Gesicht anschauen, und jedesmal wurde ihm dabei übel.
Endlich gelangten sie an ihr Ziel, tief im Zentrum des Labortrakts. Der Komplex umfaßte fünfzehn Stockwerke, den gesamten südlichen Quadranten der Festung, wie der Newhavener – sein Name war übrigens TerFauw – ihnen erklärte, und beinahe tausend Arbeiter waren dort beschäftigt. Kedalion schätzte, daß dieses Labor ungefähr zehnmal so groß war wie das von Humbaba. TerFauw führte sie durch die Wohnquartiere, zeigte ihnen Geschäfte und Speiselokale, aber sie blieben erst stehen, als sie ein Appartement erreichten, da sich über ein ganzes separates Stockwerk auszudehnen schien.
Während sie die Zimmer besichtigten, machte TerFauw sie auf verschiedene Dinge aufmerksam, aber mit einer Gleichgültigkeit, über die sich Kedalion angesichts der luxuriösen Ausstattung nur wundern konnte. Mit einem Anflug von Neid dachte er sich, daß das wohl Reedes persönliches Quartier sein sollte. Die Art und Weise, wie man sie behandelte, stand im Gegensatz zu dem, was man Reede während seiner dreistündigen Abwesenheit angetan haben mußte; er nahm die neue Umgebung völlig teilnahmslos wahr.
»Durch diese Tür gelangst du in dein privates Labor, Kullervo«, sagte TerFauw: »Morgen zeigt dir jemand den gesamten Komplex. Der Meister ist erpicht darauf, daß du so bald wie möglich mit deiner Arbeit beginnst.«
Zum erstenmal verriet Reede gelindes Interesse. Die Tür zum Labor war versiegelt, Kedalion erkannte das rotschimmernde Stasis-Schloß, eine Erfindung der Kharemoughis. »Mach die Tür auf!« befahl Reede dem Hünen.
TerFauw schüttelte den Kopf. »Das geht nicht.«
»Du sollst dieses verdammte Schloß öffnen!« herrschte Reede ihn an.
»Das kann nur der Meister«, erklärte TerFauw, »ich nicht, und du auch nicht. Er wird die Tür öffnen, sobald er findet, daß du haben sollst, was da drin steht. Du hast hier nichts mehr zu bestimmen, Kullervo, kapiert?«
Reede funkelte ihn wütend an, doch dann wurde sein Blick wieder leer, als hätte TerFauw etwas ganz anderes gesagt. Kedalion sah, wie der Newhavener schmunzelte, durch seine vernarbte Lippe glich sein Gesicht einer Fratze. Reede drehte sich um und ging ins nächste Zimmer.
TerFauw wandte sich an Kedalion und Ananke. Kedalion hielt den Atem an und fragte sich, in welchem Höllenloch sie wohl untergebracht würden; bestimmt gewährte man ihnen nicht denselben Luxus wie Reede. »Ihr zwei bleibt hier bei ihm, bis wir beschlossen haben, was aus euch wird.«
Kedalion nickte, sprachlos vor Überraschung und Erleichterung.
»Ihr beide werdet ihn im Auge behalten, bis er sich eingelebt hat. Er ist noch ein bißchen durcheinander.« Höhnisch lächelnd bleckte TerFauw die Zähne.
Kedalion schaute zur Tür und fand, der Mann habe wirklich ein Talent zur Untertreibung.
»Paßt auf, daß er sich nichts antut.« Kedalion blickte TerFauw fragend an. »Alles, was ihm passiert, passiert euch auch. Euch beiden.« Er deutete auf Ananke. »Hab ich mich klar genug ausgedrückt?«
»Und ob«, murmelte Kedalion. Plötzlich tat seine Brandwunde wieder höllisch weh.
TerFauw ging nach draußen und ließ sie allein. Mit der unversehrten Hand setzte Ananke den Quoll auf den Boden und verschwand im Bad. Der Quoll beschnupperte den weichen grünen Teppich, stellte fest, daß er nicht eßbar war und zuckelte durch den Raum. Als Reede zurückkam, huschte er unter einen Tisch.
Reedes Blick suchte sofort die versiegelte Labortür; das Schloß glühte immer noch rot. Er sah sich im Zimmer um, wie wenn er sich davon überzeugen wollte, daß sie auch wirklich allein waren. Schweigend, verloren, ließ er sich auf eine buntgemusterte Couch sinken und stierte die Tür an; in einer Faust schien er immer noch etwas zu verbergen.
Mit einer Dose Hautgewebe kam Ananke zurück. »Das hab ich gefunden, Kedalion«, sagte er und warf ihm die Dose zu.
Ungeschickt fing Kedalion sie auf und schüttelte den Kopf, nachdem er den Inhalt geprüft hatte. »Hast du schon was davon aufgetragen?«
»Ja.«
»Wasch das Zeug wieder ab, sonst bleibt keine Narbe zurück. Sinn der Sache ist ja, daß du eine Markierung trägst ... oder willst du etwa, daß die ganze Prozedur wiederholt wird?«
Ananke sah plötzlich elend aus und
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