Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
schüttelte den Kopf. Er lief ins Bad zurück, und Kedalion ging ihm hinterher. »Du hast es zu gut gemeint«, sagte er. Ananke lächelte matt.
Während Kedalion pinkelte, sah der Junge diskret weg und pellte sich das medizinische Hautgewebe ab. Aus Neugier öffnete Kedalion den Medizinschrank und staunte, wie gut bestückt er war. War das vielleicht eine Vorsichtsmaßnahme, weil jemand im Ernst damit rechnete, Reede könnte versuchen, sich das Leben zu nehmen? Mit einem mulmigen Gefühl im Magen verdrängte Kedalion diese Vorstellung. Er fand eine Tube Salbe. »Da«, sagte er zu Ananke, »das lindert die Schmerzen.«
Ananke rieb sich die Wunde damit ein und verzog das Gesicht; dann gab er Kedalion die Tube zurück. Kedalion nahm sie mit ins andere Zimmer, wo Reede immer noch auf dem Sofa saß und die Tür anstarrte. Vor Reedes Augen verteilte Kedalion die Salbe auf seiner Hand, und seufzte erleichtert auf, als die Schmerzen sofort nachließen. Dann näherte er sich Reede und hielt ihm die Tube hin. »Boss?«
Reede sah ihn an und blickte danach auf seine Verbrennung. Langsam schloß er die Finger über dem Mal und ballte die Faust. »Nein«, flüsterte er.
Kedalion schluckte und zog sich zurück. »Komm mit!« forderte er Ananke leise auf. »Wir machen uns was zu essen.« Sie gingen in die Küche, wo sie ungestört miteinander reden und gleichzeitig Reede beobachten konnten. Ananke hockte sich auf die Anrichte und behielt das Nebenzimmer im Auge, während Kedalion sich mit den Nahrungsmittelsystemen vertraut machte und eine Order eingab.
»Was ist eigentlich passiert, Kedalion?« fragte Ananke nach einer Weile. »Bei allen Göttern, so hab ich ihn noch nie gesehen. Was können sie ihm bloß angetan haben?« Er befühlte seine aufgeplatzte Lippe und zuckte zusammen.
Kedalion schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht«, antwortete er und merkte, wie sich sein Magen vor Angst erneut verkrampfte. »So genau will ich es auch gar nicht wissen. Aber TerFauw hat recht, wir dürfen ihn nicht aus den Augen lassen.«
»Er braucht Hilfe«, meinte Ananke.
Kedalion nickte und furchte die Stirn. »Ich weiß«, murmelte er, »aber ich habe nicht die geringste Ahnung, was wir tun können.« Er schnitt eine Grimasse. Die Wahrheit zugeben zu müssen, war ein Eingeständnis ihrer Hilflosigkeit. Dabei hätte er alles darum gegeben, etwas für das menschliche Wrack, das im Nebenzimmer auf dem Sofa kauerte, tun zu können. Reede leiden zu sehen, setzte ihm mehr zu als dessen Launenhaftigkeit oder Wutausbrüche. Gegen seinen Willen fühlte er sich verantwortlich, doch plötzlich wurde ihm klar, daß er Reede mochte. Während er sich die brennenden Augen rieb, dachte er daran, wie müde er war, und daß er dringend Schlaf brauchte. Dann tauchten auf dem Regal über ihm klappernd die Tabletts mit den Mahlzeiten auf, und er drehte sich um.
Ananke half Kedalion, auf einen Schemel zu klettern, ehe er nach dem Quoll pfiff. Das Tier kam in die Küche geflitzt und begrüßte den Jungen mit begeisterten Pfeiftönen. Ananke ging in die Hocke und streichelte den Quoll, der sich zufrieden über sein Futter hermachte. Kedalion sah, wie Ananke lächelte.
»Ist das Ding ein Weibchen oder ein Männchen?« erkundigte er sich und staunte, daß ihm die Frage noch nicht früher eingefallen war.
Ananke richtete sich auf. Er zuckte die Achseln, stopfte sich ein Fischbällchen in den Mund und schluckte es unzerkaut hinunter. Fast den ganzen Tag lang hatten sie nichts gegessen. »Ein Weibchen, glaube ich, aber bei einem Quoll ist das schwer festzustellen, da sich die Geschlechter kaum voneinander unterscheiden.« Gierig trank er den kalten Kaff.
»Zum Glück ist das bei den Menschen anders«, meinte Kedalion, während er wehmütig überlegte, wann er das letzte Mal den Unterschied zwischen den Geschlechtern genossen hatte. Er fragte sich, wie lange es dauern mochte, bis er sich wieder mit einer Frau vergnügen konnte. Ananke streifte ihn mit einem sonderbaren Blick und verschränkte die Arme über der Brust. »Na ja«, fuhr Kedalion fort, während er den Quoll beim Fressen beobachtete, »die werden den Unterschied ja wohl kennen.«
Nach dem Essen trank er ein Glas von dem bitteren, sehr starken ondineanischen Tee und hoffte, er würde ihn wachhalten. »Wir sollten abwechselnd schlafen, einer von uns muß ihn ständig bewachen.« Er deutete auf Reede.
Ananke nickte. »Ich übernehme die erste Wache.«
»Und du wirst auch bestimmt nicht
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