Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
sich selbst und den Jungen. Der Hüne wollte Reedes Arm packen, wie wenn er glaubte, Kullervo könne nicht aus eigener Kraft gehen. »Komm mit, Reede!«
Als der Newhavener ihn anfaßte, kam Leben in Reede; mit der gebrandmarkten Hand stieß er ihn fort. Der Mann erstarrte vor Wut, doch sein Zorn flaute ab, als er Reede ins Gesicht blickte.
»Hände weg!« zischte Reede, und Kedalion erkannte den mörderischen Ausdruck in seinen Augen.
Achselzuckend rückte der Hüne von ihm ab. »Kein Problem«, murmelte er und steuerte auf den Lift zu.
Auf labyrinthartigen Wegen gingen sie durch die Zitadelle. Dieses Mal gab sich der Newhavener die Mühe, ihnen bestimmte Dinge zu erklären. Kedalion bemühte sich, das Pochen in seiner Hand zu ignorieren und sich auf das zu konzentrieren, was er sah. Er wollte sich mit dem Ort vertraut machen, der fortan seine Heimat sein würde, ob es ihm paßte oder nicht. Aber immer wieder mußte
er
Reedes maskenhaftes Gesicht anschauen, und jedesmal wurde ihm dabei übel.
Endlich gelangten sie an ihr Ziel, tief im Zentrum des Labortrakts. Der Komplex umfaßte fünfzehn Stockwerke, den gesamten südlichen Quadranten der Festung, wie der Newhavener – sein Name war übrigens TerFauw – ihnen erklärte, und beinahe tausend Arbeiter waren dort beschäftigt. Kedalion schätzte, daß dieses Labor ungefähr zehnmal so groß war wie das von Humbaba. TerFauw führte sie durch die Wohnquartiere, zeigte ihnen Geschäfte und Speiselokale, aber sie blieben erst stehen, als sie ein Appartement erreichten, das zu Kedalion und Ananke. Als er sie erreichte, brachte er den Gestank von verbranntem Fleisch mit. Wortlos streckte er die Hand aus.
Genauso schweigend hielt Kedalion ihm seine Hand hin und biß auf die Zähen; er wußte, was jetzt kam. Die meisten von Humbabas Vasallen hatten ein Brandzeichen getragen – aber Reede nicht, und er hatte auch niemanden von seiner Crew als sein Eigentum markiert. Kedalion hielt den Blick auf Reede geheftet, der dastand und seine gebrandmarkte Hand anstarrte. Mit wilder Entschlossenheit sagte sich Kedalion, daß es nicht das Schlimmste war, von ihrem Feind adoptiert zu werden – er konnte sich auch ein anderes Schicksal vorstellen. Er klammerte sich an diesen Gedanken, bis das Brandeisen auf sein empfindliches Fleisch gedrückt wurde. Ein irrsinniger Schmerz durchzuckte seinen ganzen Arm. Er schrie, obwohl er sich geschworen hatte, sich zu beherrschen, und wollte die Hand zurückziehen; doch der Newhavener umklammerte sie wie mit einem Schraubstock, bis die Prozedur beendet war.
Dann ließ er die Hand los; Kedalion fluchte leise, vor Schmerzen war ihm schwindelig. Trotzdem zwang er sich, das Brandzeichen anzusehen. Endlich erfuhr er, wer ihn gefangenhielt, und er kannte den Ruf des Mannes, der die Quelle genannt wurde. Er wandte den Blick von dem schwärzlichen Brandmal ab und schaute wieder zu Reede hin. Dann ging der Newhavener zu Ananke.
Ohne zu zittern, hielt Ananke eine Hand hoch, die andere war zur Faust geballt. Als der Mann seine Finger auseinanderbog, kniff er die Augen zusammen und biß sich auf die Lippe. Das Brandeisen wurde auf das Fleisch gepreßt; Kedalion schnitt eine Grimasse, als das Licht aufblitzte, und er sah, wie Ananke erschauerte und ihm das Blut über das Kinn lief. Endlich gab der Newhavener ihn frei; mit der unversehrten Hand fischte Kedalion nach einem Taschentuch und reichte es wortlos dem Jungen. Ananke drückte es gegen die blutende Lippe und verbarg sein trotziges Grinsen.
Der Newhavener betrachtete sie eine Weile gleichgültig, ehe er mit dem Kinn auf den Lift deutete. »Kommt mit! Ich zeig euch eure Quartiere.« Zögernd sah Kedalion Reede an; falls man sie trennte, hatte er plötzlich mehr Angst um ihn als um sich selbst und den Jungen. Der Hüne wollte Reedes Arm packen, wie wenn er glaubte, Kullervo könne nicht aus eigener Kraft gehen. »Komm mit, Reede!«
Als der Newhavener ihn anfaßte, kam Leben in Reede; mit der gebrandmarkten Hand stieß er ihn fort. Der Mann erstarrte vor Wut, doch sein Zorn flaute ab, als er Reede ins Gesicht blickte.
»Hände weg!« zischte Reede, und Kedalion erkannte den mörderischen Ausdruck in seinen Augen.
Achselzuckend rückte der Hüne von ihm ab. »Kein Problem«, murmelte er und steuerte auf den Lift zu.
Auf labyrinthartigen Wegen gingen sie durch die Zitadelle. Dieses Mal gab sich der Newhavener die Mühe, ihnen bestimmte Dinge zu erklären. Kedalion bemühte sich, das Pochen in seiner
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