Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
gewesen, und als er sich wieder im Club einfand, hatte er zwei Reisen in die Außenwelt mit Reede hinter sich. Für Ravien waren neun Jahre vergangen, für ihn hingegen nur zwei. Irgendwer hatte ihm erzählt, Shalfaz arbeite nicht mehr im Club, sie übe jetzt den etwas seriöseren Beruf einer Schönheitsmalerin aus. Sie verzierte die Hände von reichen, wagemutigen, jungen Frauen mit verschlungenen Mustern, mit denen sie sich zu Hochzeiten und anderen Festtagen schmückten. Er gönnte es ihr, doch er vermißte sie. Worauf er jedoch gut verzichten konnte, waren die Getränke und die Atmosphäre in Raviens Club. Vielleicht sollte er früh zu Abend essen ...
Er ging um das Hovercraft herum und strebte dem Platz zu; als er sich umblickte, um sich ein letzten Mal davon zu überzeugen, daß mit dem Fahrzeug alles in Ordnung war, fiel sein Blick auf etwas Glitzerndes im Staub. Er ging hin und hob es auf. Es war der Weißmetall-Anhänger mit dem Solii, den Reede immer trug – er nannte ihn seinen Glücksbringer. Der Quoll mußte die Kette zerrissen haben, als er sich gegen ihn wehrte, und der Anhänger war aus der Bekleidung gerutscht.
Kedalion blickte die Straße hinunter ,und sah, wie Reede sich vom Karren des Schmuckhändlers abwandte und ihm den Rücken zukehrte. »Reede!« rief er, doch Reede marschierte los und bog um die Ecke.
Ohne recht zu wissen warum, lief Kedalion ihm durch die schmale Gasse hinterher; er sagte sich, sein eigener Aberglaube geböte es ihm, Reede den verlorenen Talisman zurückzubringen. Er erreichte die Ecke, achtete nicht auf den Schmuckverkäufer, der ihm mit einschmeichelnden Worten seine Ware anpries, sondern spähte an dem Karren vorbei auf den offenen Platz. Nach einer Weile entdeckte er in der Menge Reede, an dessen schwarzem Hemd Kristallschmuck funkelte.
Reede bewegte sich ohne Hast, deshalb hatte er vielleicht eine Chance, ihn mit seinen kurzen Beinchen einzuholen. Kedalion sauste los, wobei er sich am Rand der ungewöhnlich dichten Menschenmenge hielt. Die Luft roch stark nach Weihrauch. Wenn heute so viele Leute unterwegs waren, dann mußte irgendein Festtag sein; verdammtes Pech! Doch langsam holte er auf, und wieder rief er Reedes Namen. Reede drehte sich um, aber Kedalion war in der Menge verborgen.
Reede beschleunigte seine Schritte. Bald näherten sie sich dem Ort, an dem Raviens Club lag: Einen flüchtigen Augenblick lang fragte sich Kedalion, ob Reede vielleicht dorthin wollte und fluchte leise vor sich hin, als Reede plötzlich in einem Durchgang zwischen zwei Häusern verschwand, die den Platz säumten.
Er behielt die Stelle fest im Auge, bis er sie erreicht hatte, dann schlüpfte er unter einen abbröckelnden Bogen hindurch und tauchte hinein in die Passage. Nach der gleißenden Helle auf dem Platz war es in dem Gang so finster, daß er stehenbleiben und warten mußte, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
Er stand auf einem uralten Steinpflaster, zu beiden Seiten erstreckten sich glatte Wände ohne die geringste Öffnung; sie standen so nahe beisammen, daß er sie mit ausgestreckten Armen fast berühren konnte. Reede war nirgendwo zu sehen.
Verbissen ging Kedalion weiter; jetzt ließ er sich nicht mehr bremsen, bis er wußte, wo Reede geblieben war. Jählings endete die Passage an einer glatten Metalltür. Er drückte dagegen, und zu seiner Überraschung ging sie auf.
Dahinter lag ein verblüffend sauberer und moderner Korridor. In die Wände eingelassene Leuchtplatten spendeten ein mattes, aber ausreichendes Licht. Zuversichtlich setzte er seinen Weg fort, bis er an die nächste Tür gelangte. Die beiden Flügel glitten zurück, als er sich näherte, und er blickte in ein Konferenzzimmer. Wie angewurzelt blieb er stehen, während sich die dort versammelten Leute umdrehten und ihn anstarrten. Er glotzte zurück, und nahm dabei einen mit Monitoren bestückten, torusförmigen Tisch wahr. In der Mitte des Tisches befand sich ein holographisches Modell. Die Mienen der Menschen, die am Tisch saßen oder nahe der Tür standen, drückten maßloses Staunen aus.
Ein halbes Dutzend Personen umringten ihn bereits und blickten drohend auf ihn herunter. Ihm dämmerte, daß er einen Fehler begangen hatte, der tödlich enden konnte.
»Bist du ein Fremder, fern von deiner Heimatwelt?« fragte ein Mann mit ebenholzschwarzer Haut, der die Robe eines Hohepriesters trug.
Kedalion blickte an sich hinab. »Man sieht es mir wohl an«, meinte er und lächelte schwach.
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