Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
Rücksitz. Schwer ließ er sich auf seinen Platz sinken, wobei rötlich gefärbtes Wasser die teure Polsterung beschmutzte. Kedalion setzte sich hinter die Steuerung, und Ananke schwang sich auf den Sitz neben ihn. Er schleppte immer noch den Quoll mit sich herum, der sich so tief in seine weiten Gewänder kuschelte, daß nur noch der Kopf herauslugte, den er dicht unter das Kinn des Jungen schmiegte. Unentwegt gab er gurgelnde Geräusche von sich, wie wenn er nach einer beruhigenden Antwort verlangte. Ananke schnalzte leise mit der Zunge und streichelte sanft sein Fell. Plötzlich blickte er hoch, als spüre er, daß Kedalion ihn beobachtete. In seinen Augen lag ein gefühlvoller Ausdruck, den Kedalion noch nie bei ihm gesehen hatte, und der dann in Unsicherheit überging.
Kedalion lächelte und nickte. »Paß gut auf, daß das Tier nirgends hinscheißt, klar?« Das Hovercraft stieg in die Höhe und schwebte über den Köpfen der Menschen, die sich auf den Straßen herumtrieben. Sie gingen noch höher, bis die Flachdächer der Häuser zu ihnen herauf-schauten. Er sah die Pyramidenspitzen von einem halben Dutzend Tempel, die das Stadtbild bestimmten, und steuerte den Tempel an, zu dem Reede wollte. Es war der neben dem Raumhafen, in den sie sich in jener schicksalhaften Nacht geflüchtet hatten, als die Polizei sie verfolgte. Er versuchte, nicht mehr an diesen Vorfall zu denken, doch es gelang ihm nicht.
Problemlos brachte er das Schwebefahrzeug wieder nach unten; sie landeten in einer unauffälligen Sackgasse in der Nähe des Clubs, wo sie sich das erste Mal getroffen hatten. Über dem Geheimeingang befand sich immer noch der Treffpunkt der Survey-Loge. Reede ließ sich oftmals hierherbringen, doch was er an diesem Ort suchte, war Kedalion genauso schleierhaft wie die meisten seiner Aktivitäten.
Reede stieg aus und sagte lediglich: »Mach, wozu du Lust hast. Ich rufe dich dann, aber es kann spät werden.«
Kedalion nickte und sah ihm nach, wie er mit der lässigen Arroganz eines Raubtiers die Gasse hinunter-schlenderte. Das erinnerte ihn an ein anderes Tier, und er wandte sich Ananke zu. Wie ein Baby ruhte der Quoll an seiner Brust, nur hin und wieder vor sich hinbrabbelnd. »Wie hast du das gemacht?« staunte er.
Ananke zuckte die Achseln und strich mit dem Finger über die rundliche Nase des Quolls. »Quolls sind im Grunde recht friedlich. Man darf sie nur nicht reizen.« Der Quoll spähte mit einem glänzenden schwarzen Auge zu ihm auf und blinzelte.
Kedalion deutete ein Lächeln an. »Das gleiche könnte man über Menschen sagen.«
»Finde ich nicht.«
Kedalions Lächeln wurde breiter. »Du hast wohl recht.« Er blickte die Straße hinunter; an einer Ecke war Reede vor dem Verkaufskarren eines Schmuckhändlers stehengeblieben.
»Ich möchte gern etwas Obst kaufen.«
Kedalion öffnete die Tür an Anankes Seite. »Geh nur. Du hast gehört, was der Boss gesagt hat, wir sollen tun, wozu wir Lust haben.«
»Du bist der Boss, Kedalion.« Ananke grinste, und seine weißen Zähne blitzten.
Kedalion schüttelte den Kopf, ohne dem Jungen jedoch zu widersprechen. »Seit wann schmeckt dir gesundes Essen?« Wenn sie in der Stadt waren, pflegte sich Ananke nur von Kaff-Rollen zu ernähren – undefinierbare Fleischbrocken und andere fragwürdige Zutaten, in Teig gewickelt und in Fett gebraten. Alles so stark gewürzt, daß es im Mund brannte. »Ist die Obstverkäuferin vielleicht jung und hübsch?«
»Quolls fressen nur Gemüse und Obst«, erklärte Ananke.
Kedalion zuckte die Achseln und nickte. Er sah dem Jungen hinterher, wie er ausstieg und in Richtung des Platzes davonging. Er kam an Reede vorbei, der mit dem Schmuckhändler feilschte. Kedalion hatte es noch nie erlebt, daß Ananke echtes Interesse an einer Frau oder an einen anderen Jungen zeigte, was sehr seltsam war. Er wirkte schrecklich schüchtern, und niemand durfte ihn unbekleidet sehen; diese Schamhaftigkeit konnte in den engen Quartieren eines kleinen Schiffs auf einer interstellaren Reise sehr lästig werden. Vielleicht erklärte das sein Problem, oder vielleicht war es nur ein weiteres Symptom seines eigentlichen Problems – was immer das sein mochte ... Im Grunde war es Kedalion egal, was mit Ananke los war, solange er nur seine Arbeit tat und nicht durchdrehte.
Er streckte sich und stieg aus dem Hovercraft. Dann sicherte er die Türverschlüsse. Er dachte an Raviens Club und an Shalfaz. Nach seinem Abenteuer dort war er lange nicht da
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