Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
Dunkelgrau bis Tiefschwarz, die vagen, vertrauten Umrisse der Zimmereinrichtung. Stand da wirklich etwas am Fußende seines Betts, eine Schattengestalt, düsterer als die Nacht, mit einem unmöglichen Schimmer von Rot?
Du weißt, wer es ist, Reede, flüsterte die Stimme eindringlich.
Ein Hologramm; eine Projektion,
versuchte er sich vergebens einzureden.
Ein Alptraum ...
Aber er träumte nicht. Noch nie zuvor hatte die Quelle ihm das angetan und war in sein Zimmer eingedrungen, das seine letzte Zuflucht war. Wenigstens hier konnte er so tun, als sei er immer noch ein freier Mann ...
»Sag es«, murmelte die Quelle. »Sag, wer ich bin.«
»Herr!« zischte Reede, das Wort ausspuckend. Jeder Muskel seines Körpers verkrampfte sich vor ohnmächtiger Wut, und er preßte sich die Bettdecke gegen die Brust. »Was willst du?«
Er verwünschte sich, weil seine Stimme bebte.
»Hattest du heute nicht eine mitternächtliche Audienz, Reede – mit der Königin und dem Obersten Richter?«
O Götter!
Reedes Mut sank. »Aber nicht freiwillig.« »Wolltest du mich davon in Kenntnis setzen?«
»Es ist nichts passiert«, erwiderte er heiser.
»Nichts ...?« höhnte die Quelle. »Der Große Feind entführt dich zu einem heimlichen Treffen, auf dem dann nichts passiert. Man sagt dir, daß du wirklich der neue Vanamoinen bist; sie bedrängen dich, die Bruderschaft zu verraten und die Fronten zu wechseln – aber nichts passiert.«
Reedes Lippen zuckten. »Du weißt doch, daß ich dir nicht weglaufe. Wohin sollte ich gehen? Binnen weniger Tage wäre ich ein verfaulender Leichnam.«
»Du sagtest ihnen, es sei unmöglich, eine stabile Form des Wassers des Lebens herzustellen«, tadelte die Quelle. »Aber es ist nichts passiert!«
»Es war eine Lüge! Ich sagte es nur, um sie in die Irre zu führen, das ist alles.« Der kalte Schweiß lief ihm über den Rücken, während er ins Dunkel starrte. Er betete, die Quelle möge ihm nichts anmerken, möge nicht dazu imstande sein, seine geheimsten Gedanken und Gefühle zu lesen.
»Genausogut könntest du mich anlügen.«
»Ich belüge dich nicht!« brüllte Reede. »Was hätte ich davon?«
»Du hast recht, es würde dir nichts nützen. Denn wenn du mich verrätst, bist du wirklich bald krepiert, und Vanamoinens Gehirn stirbt mit dir, egal, was du sagst oder tust.«
Reede beleckte seine Lippen. »Es braucht Zeit, das Wasser des Lebens auf synthetischem Wege herzustellen, das sagte ich dir bereits. Du willst doch nicht, daß
ich
meinen alten Fehler wiederhole, oder?« – Seine Stimme klang schroff.
»Nein.« Die Quelle gab einen Laut des Abscheus von sich. »Du hast genug Zeit ... Aber inzwischen verlangt
die
Bruderschaft noch etwas anderes von dir. Offenbar ist die Königin nicht aus religiösem Fanatismus so in die Mers vernarrt. Sie und Gundhalinu wissen etwas Wichtiges über die Mers, das so geheim ist, daß nicht einmal die Goldene Mitte etwas davon ahnt. Du solltest herausfinden, was es ist.«
»Aber wie?« fragte Reede gereizt. »Heute abend erzählten sie mir nichts davon. Es war fast so, als
könnten
sie es mir nicht sagen ...« Er brach ab. »Was soll ich tun?« fragte er, sorgfältig den Hoffnungsfunken abschirmend, der in ihm aufglomm. »Ich könnte vorgeben, ich sei auf ihrer Seite, bis sie mir ...«
Die Quelle lachte, und Reedes Hoffnung erlosch. »Das könnte dir so passen, wie? O nein. Du gehörst mir; Vanamoinens Gehirn gehört der Bruderschaft. Deine Liebesaffäre mit Ariele Dawntreader hat sich doch prächtig entwickelt und süße Früchte getragen, trotz deiner Dornen, Kullervo.«
Reede schloß die Augen; seine Finger krallten sich in die Bettdecke. »Ich folgte nur deinem Befehl«, sagte er.
»Aber mir scheint, du warst mit dem ganzen Herzen dabei. Dieses törichte junge Ding ist dir verfallen. Ihren Freunden erzählt sie, bei dir könnte sie vor Ekstase sterben. Wahrscheinlich stellt sie dich sogar ihrer Mutter vor, wenn du sie darum bittest.«
Reede riß die Augen auf. »Willst du, daß ich sie heirate?« fragte er verblüfft.
»Nein ...«, zischte der Schatten. »Du wirst ihr das Wasser des Todes geben.«
Reede gab einen erstickten Laut von sich.
»Weshalb?«
»Damit wir sie in unsere Gewalt bekommen. Die Königin ist ihre Mutter – Gundhalinu ist ihr Vater. Wenn sie sehen, was mit ihr passiert, sobald man ihr das Wasser des Todes entzieht, werden sie uns ihr Geheimnis schon mitteilen.«
»Was ist, wenn sie es nicht können?«
Nur Schweigen
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