Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
die Handfläche hin und zeigte ihr das Brandmal. Sie hatte es schon früher gesehen, aber nie den Mut aufgebracht, ihn nach der Bedeutung dieser Markierung zu fragen. »Er sagt mir, was ich tun soll, und wenn ich mich weigere, entzieht er mir die Droge, von der ich abhängig bin; wenn ich meine Dosis nicht kriege, muß ich sterben.«
»Hat er dich süchtig gemacht?«
»Nein«, versetzte er schroff. »Ich bin selbst schuld daran. Aber er kontrolliert meine Vorräte ...« Hastig fuhr er fort, ehe sie nachfragen konnte: »Ich brachte dich hierher, weil er jetzt von mir verlangt, daß ich dir diese Droge gebe.«
Sie hielt den Atem an; er sah den ängstlichen Blick in ihren Augen.
»Deshalb habe ich dich in diese Einöde entführt!« sagte er barsch. »Ich will dich nicht abhängig machen. Die Quelle hatte mir befohlen, ich sollte mich an dich heranmachen; dann mußte ich mit dir schlafen. Er – er ist für alles verantwortlich. Ich führte nur seine Befehle aus. Aber jetzt ist Schluß damit, beim Render ...« Seine Hände umschlossen fest die Kontrollen.
»Er hat dir alles befohlen ...?« fragte Ariele mit dünner, bebender Stimme. Vor Scham brannten ihre Wangen. »Das glaube ich nicht. Du warst auch dran beteiligt ... zumindest vergangene Nacht.« Ihre Finger berührten ihre Lippen, ihre Brüste. Dann schaute sie ihn mit durchdringendem Blick an.
Reede starrte geradeaus auf das endlose, blaugrüne Meer. Endlich entdeckte er das, wonach er gesucht hatte. Er zeigte nach vorn. »Da. Die Äußersten Inseln. Soweit ich weiß, lebt weiter südlich niemand mehr. Eine Insel in diesem Archipel ist bewohnt. Die Siedlung ist so winzig, daß kaum jemand in Karbunkel sie kennt. Da sich so weit draußen der Klimazyklus nicht wesentlich auswirkt, brauchen die Bewohner ihre Insel nie zu verlassen. Du könntest sagen, dein Boot sei in einem Sturm vom Kurs abgewichen und an ihren Strand gespült worden.«
»Du willst mich allein hier aussetzen?« fragte sie schüchtern. Er gab keine Antwort. Sie wandte den Blick von den fernen grauen und purpurnen Punkten ab, die die eintönige Seelandschaft durchsetzten, und schaute Reede in die Augen. Hastig sah sie wieder weg; ihre Hände, die sie im Schoß hielt, ballten sich zu Fäusten. »Und was dann? Erwartest du von mir, daß ich bei diesen Menschen lebe, wie eine – eine
Dashtu
in einer Steinhütte?«
»So haben Generationen von Dawntreaders gelebt«, schnauzte er sie an. »Selbst Arienrhod lebte so bis zum Wechsel. Es steckt dir im Blut, du wirst dich daran gewöhnen.«
»Und wie lange muß ich hierbleiben?«
Er holte tief Luft. »Vielleicht für den Rest deines Lebens. «
Sie drehte sich in ihrem Sitz um. »Für immer?«
»Wenn du weißt, was gut für dich ist. Die Quelle will dich gegen deine Mutter und Gundhalinu ausspielen. Er glaubt, sie besitzen etwas, das für ihn interessant ist, und mit dir als Faustpfand will er sie erpressen. Zuerst sollst du vom Wasser des Todes abhängig gemacht werden; er glaubt, wenn die Königin und Gundhalinu sehen, was mit ihrem Kind passiert, wenn die Entzugserscheinungen einsetzen und du langsam krepierst, würden sie nachgeben. Aber sie können ihn nicht in ihr Geheimnis einweihen, selbst wenn sie es wollten. Und ich kann nichts tun, um die Quelle von seinem Plan abzubringen. Keiner könnte das. Also bleibt gar nichts anderes übrig, als dich endgültig seinem Zugriff zu entziehen, das heißt, du mußt von der Bildfläche verschwinden.«
»Und das alles passiert, weil ich dich liebe?« sagte sie mit brüchiger Stimme. »Ich soll Karbunkel und meine Familie nie wiedersehen ...?« Als sie begriff, was sie alles mit einem Schlag verlieren sollte, kochten Wut, Enttäuschung und ohnmächtiger Schmerz in ihr hoch. Gequält sah Reede, was seine Worte angerichtet hatten. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Tränen des Zorns und des Hasses quollen zwischen den Fingern hervor ... Tränen der Scham und der Verzweiflung, als sie fragte: »Und dich soll ich auch nie wiedersehen?«
Er schöpfte tief Atem; er spürte dieselbe hilflose Wut auf das Schicksal wie sie. Das hatte er nie gewollt – nicht einmal Ariele hatte er gewollt. Sie war ihm gegen seinen Willen aufgezwungen worden, benutzt wie ein Folterinstrument von dem Mann, der im Quälen ein Meister war. Eigentlich sollte er Ariele hassen. Und dennoch ... Sein Blick verschwamm, und er schaute zur Seite, weil sie den Hunger in seinen Augen nicht sehen sollte.
Wie ein Besessener beschäftigte er
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