Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
müde, daß er aus eigener Kraft nicht einmal mehr den Kopf hochhalten konnte. Das Metall erhitzte sich, als die Sonne durch die ramponierten Farnwedel brach. Das Sonnenlicht erwärmte auch seine Haut und den Boden, auf dem er kauerte.
Bei den Göttern, es ist schrecklich heiß hier.
Nicht so heiß wie auf Ondinee, obwohl die Temperaturen auch hier ansteigen würden, wenn der Sommer seinem Höhepunkt näherrückte. Doch verglichen mit der Nordküste, wo Karbunkel lag, war es sehr warm. Er ließ sich durch die Hitze der Zwillingssonnen trösten, auch wenn sie sein Fleisch verschmorten, wie wenn er ein Käfer unter einem Vergrößerungsglas wäre. In seinen Adern schien statt Blut Eiswasser zu fließen ... oder eine Säure ... oder Schneematsch ...
Die Stunden verstrichen. Sonnenlicht und Schatten wanderten langsam durch den stillen Hain. Ariele rührte sich nicht von der Stelle, und auch er saß regungslos da. Ab und zu flatterten Vögel an ihnen vorbei; das Geraschel der Farnwedel vermischte sich mit den Geräuschen der See. Je angestrengter er lauschte, um so intensiver wurde das leise, unaufhörliche Geflüster, wie wenn das Meer näher an ihn herankröche, ihn umzingelte, um ihn dann in seiner Hilflosigkeit zu ertränken.
Mit einem Aufschrei schnellte er in die Höhe, als Wasser in sein Gesicht klatschte – plötzlich merkte er, daß er im Regen stand, unter einem schwarzblauen Himmel, über den Gewitterwolken jagten. Regentropfen prasselten auf ihn nieder, hart und glatt wie Perlen, verschmolzen mit seiner Fieberglut, vermischten sich mit seinem Schweiß und durchnäßten ihn bis auf die Haut. Indem er offenen Mundes in den Regen hinein-starrte, zog sich das Meer aus seinen Träumen zurück; die Beine gaben unter ihm nach, als die Realität ihn wiederhatte.
Er rutschte an der nassen Tür des Hovercraft hinunter, bis er im roten Schlamm hockte. Matsch, der sich warm und kalt zugleich anfühlte, quoll zwischen seinen Fingern hoch. Als er seine Hände betrachtete, sah er, wie angeschwollen und lilafarben sie waren; es schienen gar nicht seine eigenen Hände zu sein, sondern die eines anderen Menschen. Er blickte zu Ariele hin, die unglücklich unter den Baumfarnen kauerte, die sie vor dem Unwetter kaum zu schützen vermochten. Als sie merkte, daß er sie anschaute, rief sie seinen Namen.
Er gab keine Antwort. Er legte den Kopf in den Nacken, bis er in den Himmel hineinstierte und der Regen seine ausgedorrte Kehle anfeuchtete. Die Tränen des Himmels benetzten sein Gesicht, und er wartete darauf, daß der Kummer vorbeiging.
Das Gewitter zog so rasch vorüber, wie es gekommen war, ein auffrischender Wind trieb es über das Meer. Nahe des Horizonts tauchten die Zwillinge wieder auf, entzündeten Regenbogen in den Wolken, verzauberten, zersplitterten und bemalten den Himmel mit bunten Visionen. Er beobachtete, wie Bilder entstanden und verblaßten, so wie sein von Schmerzen zermarterter Körper eine neue Gestalt anzunehmen schien; voller Staunen und Qual schaute er dem Spektakel zu.
Irgendwo, an einem Ort, der in den unendlichen Gefilden von Raum und Zeit verloren war, hatte er einmal Sterne an einem nächtlichen Himmel beobachtet, der von innen her zu leuchten schien wie ein Fenster aus buntem Glas.
Er konnte sich nicht erinnern, je etwas Schöneres gesehen zu haben; das himmlische Schauspiel berührte ihn in den Tiefen seiner Seele. Er fragte sich, ob er früher blind gegenüber soviel aufwühlender Schönheit gewesen war oder ob sein naher Tod ihm erst die Augen öffnete.
Bei Sonnenuntergang erhob sich Ariele von ihrem Platz und kam auf ihn zu. Unbeholfen hob er den Stunner auf und richtete den Lauf auf sie.
Mit gerunzelter Stirn sah sie ihn an; ihr Gesicht war so bar jeden Ausdrucks, daß es wie aus Glas geformt schien, jeden Moment bereit, zu zerbrechen. Doch sie sagte nur: »Ich habe Hunger.«
»Es gibt nichts zu essen.«
»Hinten im Hovercraft sind Notvorräte.«
»Na schön ... Hol sie dir«, murmelte er. »Aber faß das Funkgerät nicht an.« Sie nickte und errötete. Mühsam rückte er beiseite, damit sie ins Hovercraft einsteigen konnte; seine steifen Gelenke trotzten jeder Bewegung wie rostige Angeln. Nachdem sie den Proviant herausgeholt hatte, setzte er sich wieder vor die Tür.
Unweit von ihm kauerte sie nieder, wobei sie darauf achtete, keine hastigen oder heimlichen Bewegungen zu machen. Sie bot ihm etwas zu essen an – Rationen in selbstwärmenden Dosen. Von dem Geruch wurde ihm übel.
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