Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
Molekularprozessoren. Regungslos auf einem Hocker sitzend, beobachtete er die Fertigstellung seines Programms. Schließlich erloschen die Datenanzeigen auf dem Bildschirm, und es erschienen zwei Worte in Leuchtschrift: SEQUENZ KOMPLETT. Reede lächelte. Er stand auf und ging dorthin, wo seine Waffe bereitlag. Vorsichtig nahm er die durchsichtige Phiole in die Hand und betrachtete den Inhalt – eine schwere, silberne Flüssigkeit, die wie Erinnerungen gegen die klaren Wände schwappte.
Mit der Phiole verließ er das Labor. Er schritt durch den weitläufigen Komplex der Zitadelle; mit einem sonderbaren Gefühl der Verfremdung nahm er die Einrichtung, die Bewohner, und die gesamte hermetisch abgeschottete Welt wahr. Zu seiner Befriedigung bemerkt er ungewöhnlich viele fluchende, verwirrt herumhastende Arbeiter sämtlicher Klassifizierungen, die offenbar Schwierigkeiten mit den Operationssystemen hatten.
Um an sein Ziel zu gelangen, brauchte er mehr Zeit als geplant, denn durch die unvorhergesehene Umleitung eines Shuttles verlor er gut eine halbe Stunde. Als er endlich die äußere Sphäre des privaten Wohnkomplexes der Quelle erreichte, war seine Zufriedenheit durchmischt mit Nervosität. Ungeduldig verlangte er eine Audienz mit dem Herrn. Das Virus schien sich rascher durch das System zu verbreiten als erwartet. Er hoffte, die anderen würden die Anzeichen erkennen, andernfalls kämen sie nicht mehr rechtzeitig zu den Docks. Er mußte einfach darauf vertrauen, daß sie ihre Sache richtig machten, so wie sie auf seine Schläue setzen mußten ...
Reede mußte sich beherrschen, um nicht nervös zu blinzeln, herumzuzappeln und von einem Fuß auf den anderen zu treten, während der Wachposten seine Forderung drei-, vier-, fünfmal wiederholte, ohne eine Antwort zu bekommen. Eine verzweifelte innere Stimme schrie ihm zu, er sei wahnsinnig, er habe unnötig viel riskiert, indem er die Quelle aufsuchte. Doch er mußte es tun, er mußte die Quelle ablenken und beschäftigen, andernfalls konnte die Flucht nie gelingen. Fr hatte das richtige getan, als er hierherkam,
es ging gar nicht anders ...
redete er sich immerzu ein. Was er jetzt brauchte, war Selbstvertrauen.
»Verdammt noch mal!« fluchte der Wachmann. Jählings antworte die Quelle; ein unverständlicher Wortschwall prasselte auf sie herab.
Der Posten zog die Stirn kraus. »Was hat er gesagt?«
»Er sagte: ›Laß den Mann reinkommen‹,« schnauzte Reede. Er drängte sich einfach durch die nachgiebige Barriere des Energiefeldes, und als der Schutzschirm ihn nicht aufhielt, schritt auch der Posten nicht ein. ..Geh schon!« sagte der Mann. »Du kennst den Weg.«
Und ob er den Weg kannte. Die Fahrt mit dem Lift dauerte eine Ewigkeit. Reede dachte daran, wie oft Alpträume ihn gequält hatten, er sei in diesem Lift eingesperrt. Sie suchten ihn genauso häufig heim wie die Träume, in denen er ertrank ... Endlich entließ der Lift ihn in den täuschend unscheinbaren Korridor, in dem sich die glatte Tür befand, die in die schreckliche Finsternis führte. Als er darauf zu ging, prüfte er die Uhrzeit. Er mußte auf das genaue Timing achten ... Die menschlichen Wachposten sowie die elektronischen Sicherheitssysteme ließen ihn unbehelligt passieren; dann öffnete sich vor ihm die Tür.
Reede machte einen Schritt nach vorn, und hinter ihm versiegelte sich die Tür mit einem satten Schnurren. Sein Herz setzte einen Schlag lang aus. Mit schweißnassen Händen umklammerte er die kostbare Phiole mit der silbernen Flüssigkeit.
Ich bin der Gott des
Todes ...
»Herr«, sagte er und spähte angestrengt in die Dunkelheit, um die Spur eines rotglimmenden Funkens zu entdecken. »Ich habe es.«
»Kullervo«, flüsterte die Stimme der Quelle, die jetzt klar und deutlich zu verstehen war.
Doch; jetzt sah er den stumpfen Schimmer einer rötlichen Glut.
»Das Wasser des Lebens? Bring es mir; bring es mir hierher ...«
Schlurfenden Schrittes bewegte sich Reede vorwärts; er ließ sich von der Quelle nicht drängen. Er gelangte an den Sessel, in den er sich bei seinen sonstigen Besuchen immer setzen mußte; in der Finsternis stieß er dagegen.
Tastend wollte er ihn umrunden.
»Komm her!« befahl die Quelle. »Komm näher! Gib es mir!«
Reede gehorchte; wie ein Mann, der durch ein Minenfeld pirscht, näherte er sich der verschwommenen, konturlosen Silhouette. Noch nie hatte die Quelle es ihm gestattet, so nahe an ihn heranzukommen. Vielleicht war diese schemenhafte Form auch nur
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