Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
ein Trugbild, eine Projektion – möglicherweise befand er sich ganz allein in diesem Raum. Doch im Grunde glaubte er es nicht.
Er prallte gegen eine scharfe Kante und blieb jählings stehen. Mit den Händen tastend, fand er eine glatte, kalte Fläche. Seine empfindliche junge Haut schmerzte, als er sie anfaßte. »Hier ist es, Herr.« Sich nur nach dem Tastsinn orientierend, stellte er die Phiole auf den Tisch und zog sich langsam zurück.
»Halt!« sagte die Quelle. »Komm wieder her!«
Reede lockerte seine verkrampften Muskeln und ging nach vorn, bis er an die harte Kante des Tisches stieß. Sich daran festhaltend war er froh, daß dieses Hinder nis ihn von der Quelle trennte.
Plötzlich fiel von oben ein blauvioletter Lichtstrahl auf ihn und tauchte ihn in eine blendende Helligkeit. Er schloß die Augen vor dem Glast, und in der Dunkelheit fluoreszierte sein Hemd wie eine sonderbare Blume.
Ich tue es für dich, Mundilfoere ...
Er ließ die Hände herunterbaumeln und stellte sich in Gedanken Mundilfoeres Bild vor; er benutzte es wie ein Adhani, um sein inneres Gleichgewicht wiederzuerlangen, und seinen Körper sowie seinen Geist vor den Perversitäten der Quelle zu schützen. Jählings erlosch das Licht wieder; Reede rührte sich nicht vom Fleck.
»Du hast es also tatsächlich geschafft ...«, flüsterte die Quelle. »Du hast auf synthetischem Wege das Wasser des Lebens hergestellt, das wir reproduzieren und verkaufen können ...«
»Ja, Herr.«
»Zu Gundhalinu sagtest du, es sei unmöglich.« »Ich sagte auch, daß ich gelogen hätte.«
»Aber mich würdest du doch nicht belügen, oder?« »Nein, Herr.«
»Du sagtest mir, es würde sehr lange dauern, die richtige Antwort zu finden. Und jetzt ging es doch so schnell?«
»Während meiner Genesung hatte ich viel Zeit zum Nachdenken«, entgegnete er mit teilnahmsloser Stimme.
»Das kann ich mir vorstellen. Du hast hoffentlich auch über Demut und Bescheidenheit nachgedacht.« »Ja, Herr.«
»Und dein Elixier ist genausogut wie das Original?« »Sogar noch besser«, bekräftigte Reede leise.
Ein Augenblick der Stille trat ein. »In welcher Hinsicht?«
»Meine Mixtur ist stabil, so wie du sie haben wolltest. Ich entdeckte eine Möglichkeit, um das lebensverlängernde Agens außerhalb eines Merkörpers zu konservieren. Das vereinfacht die Produktion und den Transport.«
Ein greller Lichtstrahl durchstieß die transparente Fläche vor ihm wie ein Schwert und konzentrierte sich auf die Phiole, die er dort abgestellt hatte. Abermals mußte er die Augen schließen, um nicht geblendet zu werden; durch die zusammengekniffenen Lider sah er immer noch den blendend hellen Strahl.
Urplötzlich herrschte wieder absolute Finsternis. Er machte die Augen auf und blinzelte heftig.
»Nun?« fragte die Quelle ungeduldig. »Was ist?«
»Was?« Reede brach ab, als er merkte, daß die Quelle nicht mehr mit ihm redete, sondern eine Antwort von einem verborgenen Datensystem verlangte, das den Inhalt der Phiole analysierte.
Im Dunkeln raschelte es, wie wenn sich jemand abrupt bewegte, und Reede hörte einen gutturalen Laut, der wie ein Fluch klang. Er wartete.
»Ich gratuliere, Reede ...«, murmelte die Quelle schließlich. »Oder sollte ich lieber Vanamoinen beglückwünschen? Du hast recht, es ist ... perfekt. Viel besser als das Original. Du bist ein wahres Genie ...« Ein Unterton in seiner Stimme jagte Reede einen kalten Schauer über den Rücken; hatte er jetzt seine Schuldigkeit erfüllt und konnte getrost eliminiert werden? Doch zu sei- ner Verwunderung lachte die Quelle glucksend und wisperte:
»Wer weiß, welche neuen Welten du noch für mich erobern wirst?«
Reede gab keine Antwort.
Trink!
dachte er.
Komm schon, trink es aus, du verfluchter Bastard! So trink doch endlich!
»Die erste Dosis gebührt dir, Herr«, schmeichelte er und bemühte sich, nicht ungeduldig zu klingen. »Deshalb brachte ich sie umgehend hierher; damit du als erster davon kostest.«
»Was?« spottete die Quelle. »Du hast es nicht an dir selbst ausprobiert, wie das Wasser des Todes?«
»Welchen Sinn hätte das gehabt?« entgegnete Reede ruppig. »Bei mir würde es ohnehin nicht wirken. Das Wasser des Lebens gehört dir, Herr ...«, schloß er mit einem gewollt bitteren Unterton. »So wie ich auch.«
»Ja«, murmelte die Quelle. »Das hast du treffend ausgedrückt.«
Abermals vernahm Reede ein Rascheln, wie wenn jemand sein Gewicht verlagerte. Er starrte auf den Punkt, wo er die Phiole
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