Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
abgesetzt hatte; fast bildete er sich ein, er sähe tatsächlich eine schwarze, konturlose Gestalt, von einer Corona aus stumpfem Rot umgeben, die sich bückte und die Phiole fortnahm. Das Rascheln und Knistern hörte nicht auf; es kam ihm vor, als strahle der rötliche Schein nun heller, und als könne er inmitten dieser trüben Aura einen mißgestalteten Klumpen erkennen, der vorgab, ein Mensch zu sein.
Es passierte vor seinen Augen.
Dann hörte er ein zufriedenes Ächzen. »Endlich!« flüsterte die Quelle. »Es schmeckt gut – ja, ich erinnere mich ... es hat genau den richtigen Geschmack.«
Ein Taumel der Hochgestimmtheit packte ihn.
Es hatte geklappt!
Und ihm blieb noch genug Zeit, um das Messer in der Wunde herumzudrehen. »Ehe ich es vergesse, muß ich dir noch etwas sagen. Meine Version vom Wasser des Lebens läßt sich nicht nur außerhalb eines Merkörpers konservieren ... sie bleibt auch im Benutzer stabil.«
»Was heißt das?« schnarrte die Quelle. »Wie lange bleibt sie stabil?«
»Mindestens ein paar Jahrzehnte. Ich bin mir nicht ganz sicher. Jetzt arbeitet es in dir, es vermaßt deine DNS, verankert jedes System und jede Funktion in deinem Körper und hält es in dem gegenwärtigen Zustand fest. Von jetzt an verändert sich nichts mehr, alles bleibt so, wie es ist ...«
»Dann braucht man das Wasser des Lebens ja nur alle •paar Jahrzehnte einzunehmen«, knurrte die Quelle. »Wo bleibt dann der Profit?«
»Das ist nicht das Problem.«
»Was denn?«
»Das eigentliche Problem ist, was dieses Wasser des Todes mit dir anstellt.«
»Was?« ächzte die Quelle.
»Das Wasser des Lebens wurde erfunden, um den Mers ein langes Leben zu schenken, nicht den Menschen. Aber die Mers sind durch Genmanipulation entstanden – ihr Erbgut ist viel simpler strukturiert als der menschliche genetische Code. Unsere Körper entstanden nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum; verglichen mit den Mers sind wir eine grobe Anhäufung von fehlerhaften Zellen.« Reede gestattete sich ein Lächeln, das immer breiter wurde. »Das Wasser des Lebens wurde für so komplexe Wesen, wie wir es sind, nicht konzipiert. Die Menschen konnten es nur benutzen, um ihren Altersprozeß hinauszuzögern, weil es sich in ihren Körpern ständig auflöste, es blieb in seiner Struktur höchstens einen Tag lang intakt. Der Körper fand immer wieder Zeit, um sich zu regenerieren, die natürlichen Zyklen und biologischen Rhythmen wurden nicht wesentlich behindert. Chaos ...«, versetzte er wild, »gegen Ordnung.«
Er schnellte vor, bis die Tischkante ihm schmerzhaft
in die Beine schnitt. Nun sah er ganz deutlich eine Silhouette, während der Raum vor ihm flimmerte und sich einen Augenblick lang erhellte. Er wußte nicht, zu welcher Lebensform diese Silhouette gehörte, doch mittlerweile war es ihm egal. »Bald wird dein Kurzzeitgedächtnis versagen; bald lebst du in Isolation, weil dein Immunsystem zusammenbricht ... bald bist du perfekt. Das Alte Imperium glaubte, es hätte die Vollkommenheit gefunden, und das besiegelte ihren Untergang. Es heißt, Vollkommenheit macht die Götter neidisch ...« Er stieß sich von der Kante ab und lachte, als die Quelle mit böser, kehliger Stimme zu fluchen anfing. Plötzlich fiel ihm auf, daß die Dunkelheit nicht mehr so tief war, er konnte die Umrisse seiner eigenen Hände und seines Körpers sehen.
»Ich glaube dir nicht«, geiferte die Quelle, doch Reede hörte die Angst heraus. »Das würdest du nicht wagen. «
Reede schürzte die Lippen. »Die Dinge verändern sich. Das hast du mir selbst einmal gesagt, weißt du noch? Jetzt besitze ich Macht. Du hast mir erzählt, Mundilfoeres Sterben hätte sehr lange gedauert. Was glaubst du, wie lange du dich quälen wirst?«
»Warum ist es hier so hell?« schrie die Quelle wütend. »Hier muß es dunkel sein.«
»Ich bin schuld daran«, trumpfte Reede auf. »Ich habe dafür gesorgt, Jaakola. Meine Viren beherrschen nicht nur deinen Körper, sie durchdringen auch sämtliche Systeme der Zitadelle. In Kürze bricht die Verteidigungsanlage zusammen.«
»Das ist unmöglich.«
»Und wieso wird es hier plötzlich hell?« zischte Reede. Es kam keine Antwort. »Willst du, daß ich den Vorgang stoppe? Wenn ich alles wieder rückgängig mache, bekomme ich dann von dir, was ich will? Wie weit reicht deine Macht wirklich? – Welche Geheimnisse verbirgst du? – Welchen Preis zahlst du für dein Leben?«
»Was verlangst du?« knarzte die kaputte Stimme. »Was willst
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