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Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt

Titel: Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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mich zur Königin, verdammt noch mal; ich habe nicht mehr viel Zeit.«
    »Immer mit der Ruhe, mein Junge«, sagte sie und legte beruhigend eine Hand auf seinen Arm. »Sie kommen schon früh genug hin.«
    Wütend funkelte er sie an, entzog sich ihrem Griff und begann, die Straße hinaufzutrotten; den anderen blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
    Endlich erreichten sie den weiten Platz vor dem Palast. Die weiße Alabasterfläche war von Laternen umringt. Nun übernahm PalaThion die Führung und sprach mit den Wachposten, die wie immer neben den wuchtigen Türflügeln standen. Die Tür ging auf, um sie einzulassen, und zum erstenmal betrat Reede den Palast der Sommerkönigin. Er folgte PalaThion einen langen, hallenden Korridor entlang; die tanzenden Lichter rings um ihn her verwirrten ihn; im Vorbeigehen erhaschte er Blicke auf gemalte Landschaften – grüne Hügel, Wasser und Himmel, beleuchtet von den unruhigen Strahlen der Laternen.
    Der Gang mündete in einen großen, hohen Saal. Zu seiner Überraschung roch die Luft plötzlich intensiv nach Meer. Hoch droben befanden sich Fenster, die den Sturmwällen am Ende einer jeden Allee glichen, doch diese waren geschlossen. Hinter den klaren Scheiben brannte der nächtliche Himmel im Glanz von einer Million Sternen.
    Reede senkte den Blick und entdeckte auf der anderen Seite des Saals noch eine Zusammenballung von Lichtern. Jemand wartete dort. »Das ist die Königin«, murmelte PalaThion.
    Doch zwischen der Königin und ihm befand sich noch etwas ... ein dunkler Streifen schwang sich über einen Schacht, in dem ein unheimliches grünes Licht glühte. Reede drängte sich an PalaThion vorbei und starrte mit einer Ahnung drohender Gefahr in den Abgrund.
    »Kullervo!« rief PalaThion scharf und packte seinen Arm. »Warten Sie, das ist die Grube. Im Dunkeln können Sie sie nicht überqueren, sie ist ungeheuer tief.«
    »Es ist nicht dunkel«, widersprach Reede.
    »Pechfinster ist es«, beharrte sie. »Was reden Sie da?«
    »Lassen Sie mich los!« Er riß sich frei und wollte weitergehen. »Ich sehe alles vollkommen deutlich, ich muß auf die andere Seite ...«
    Sie traf keine Anstalten, ihn festzuhalten; aber an ihrem Gesichtsausdruck erkannte er:
Sie sieht es nicht.
Vor Angst bekam er eine Gänsehaut, und seine Eingeweide krampften sich zusammen. Aber er ging weiter, allein, von dem Lichtschimmer angezogen wie ein Insekt. Vor dem geländerlosen Steg, der den Schacht überspannte, blieb er stehen. Er fühlte sich hilflos, ein Opfer seines Instinkts.
Hier würde er auf alle seine Fragen endhch eine Antwort finden ... Er hatte sein vorherbestimmtes Ziel erreicht ...
    Wie unter Zwang; mit angehaltenem Atem, betrat er die Brücke; unter ihm flackerte in bodenloser Tiefe das grünliche Licht. Vage nahm er wahr, daß PalaThion ihm in sicherer Entfernung folgte. Erschauernd machte er einen weiteren Schritt nach vorn, und er spürte, wie das Licht sich emporreckte und ihn zärtlich liebkoste; eine wunderschöne Musik lullte seine Sinne ein, es war ein Gefühl wie Samt und Seide, dazu der Duft des Ozeans. »Nein«, flüsterte er wie ein Kind, als er in das Licht hineinging. »Nein, ich will nicht, ich habe Angst ...« Sein bewußtes Denken ertrank in einem Meer aus Emotionen und Besessenheit. Mitten auf der Brücke sank er auf die Knie, während der Zauber immer stärker von ihm Besitz ergriff.
    Vanamoinen.
Die Frage und die Bestätigung hallten in seinem Gehirn nach.
Ja – Ich bin Vanamoinen,
und nicht die andere Kreatur, das Behältnis aus Fleisch und Blut, der Fremde, der jetzt wie ein Häufchen Elend auf der Brücke kauert.
Ich erinnere mich .. .
    Plötzlich wußte er wieder, wie er diese Welt erwählt, diese Stadt gebaut hatte, ein reich verziertes, unbegreifliches Juwel, das die Menschheit noch Generationen nach seinem Tod verzaubern würde. Die Menschen schützten und hegten diese Stadt, weil sie einzigartig war, nicht ahnend, daß sie eine Nadel in der Karte der Zeit darstellte, einen geheimen Ort markierend, an dem sein wirkliches Geschenk an künftige Generationen verborgen lag: die Datenbänke, in denen das gesamte Wissen der Menschheit gespeichert war – der Nexus, an dem sich der Geist der Sibyllen konzentrierte, der Spiegel seiner Seele.
    Aber nicht seiner Seele allein – noch jemand anders war im Spiel:
Ilmarinen.
Das Sibyllennetz wäre nie zustandegekommen, er hätte niemals seinen Traum realisiert ... diesen Traum hätte er gar nicht gehabt – ohne

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