Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
unter ihm nach, und er mußte sich hinsetzen. Die Königin selbst brachte ihm etwas zu trinken. Wortlos nahm er den Becher und nippte an der kühlen, bitteren Flüssigkeit; schon bald merkte er, wie der scharfe Geschmack seinen Kopf klärte.
»Wo ist meine Tochter?« fragte die Königin, als er wieder den Kopf hob. »Wo ist mein Angetrauter?« Reede merkte, wie sie seine zerrissene, blutbefleckte Kleidung und sein zerschlagenes Gesicht musterte.
»Ariele ist in Sicherheit, fürs erste«, sagte er. »Sie befindet sich an Bord meines Schiffs, in Stasis. Ihr Gemahl ... ihr Gemahl ist tot.« Er wandte den Blick von ihrem entsetzten Gesicht ab. »Es erwischte ihn böse, als
er uns aus der Festung herausbrachte. Es tut mir leid, daß er sterben mußte.«
Die Königin gab einen unterdrückten, kummervollen Laut von sich. Sie drehte sich um und trat ans Fenster. Allein stand sie da und starrte nach draußen auf die Sterne; keiner im Raum rührte sich vom Fleck, man wollte ihr die Illusion von Einsamkeit lassen. Abrupt stellte Reede seinen Becher auf dem Tisch neben seinem Platz ab; er wollte die Königin anbrüllen, daß jetzt nicht die Zeit zum Trauern sei, daß sie sich beeilen mußten –doch er schwieg, wie alle anderen, bis sie sich schließlich wieder umwandte.
»Was ist mit dieser Droge?« fragte sie ihn. Ihr Körper wirkte verkrampft. »Dem Wasser des Todes?«
»Die Blauen haben mir die einzige Probe abgenommen, die ich bei mir hatte.« Er schüttelte den Kopf. »Ich dachte, Gundhalinu wäre hier, verdammt noch mal! Ich hatte fest mit seiner Hilfe gerechnet!«
Die Königin schwieg eine geraume Weile; als er sie anschaute merkte er, daß sie um Fassung rang. »Er wird zurückkommen«, sagte sie dann. »Wenn wir getan haben, was wir tun müssen.«
»Es wird zu spät sein«, flüsterte er. Plötzlich wurde ihm schwindelig, wie wenn sein Kopf leichter sei als Luft. Er fluchte leise.
»Vanamoinen«, sagte die Königin mit weicher Stimme. »Wissen Sie, warum Sie hier sind? Hat man es Ihnen gesagt?«
Er betrachtete ihr sonderbar bleiches Haar, ihre Haut, die aussah wie durchscheinendes Porzellan. »Ja«, murmelte er.
Die Königin gab den anderen, die hinter ihr standen, einen Wink. »Ich muß allein mit ihm sprechen.« Die Leute nickten und gingen zur Tür.
PalaThion zauderte und sah die Königin fragend an. Mond nickte, und die Kommandantin folgte den anderen nach draußen.
»Du nicht«, wandte Reede unvermittelt ein, als auch Tammis sich zurückziehen wollte. »Du bleibst hier.«
Tammis schwankte zwischen Zweifel und Überraschung. Seine Frau nahm ihn an die Hand und versuchte unauffällig, ihn aus dem Zimmer zu ziehen. Reede sah ihren leicht gewölbten Leib und fragte sich, ob sie sich deshalb an Tammis klammerte. Doch er fixierte den Jungen mit gnadenlosen Blicken. »Du hast etwas gesehen«, sagte er ihm auf den Kopf zu. »Du weißt doch etwas.«
Tammis nickte und drängte seine Frau behutsam hinaus. Sie sahen noch den schmerzerfüllten Ausdruck auf ihrem Gesicht, bevor die Tür sich endgültig schloß.
Als sie unter sich waren, sagte Reede: »Ich brauche zwei Sibyllen – das Sibyllennetz hat Sie ausgewählt«, er deutete auf die Königin, »und Gundhalinu. Aber Gundhalinu ist nicht mehr hier.« Er wandte sich an Tammis. »Ich glaube, du sollst ihn ersetzen. Kannst du schwimmen? Mit einer Taucherausrüstung umgehen?«
Tammis nickte und setzte sich in einen prunkvoll verzierten Sessel. »Worauf läuft das alles hinaus?«
Die Königin nahm neben Reede auf der Couch Platz; er merkte, wie sie ihn skeptisch von der Seite anstarrte. Sie konnte keine Antwort geben, denn sie wurde vom Sibyllennetz kontrolliert, wie Gundhalinu auch; doch das Netz hatte keine Gewalt über Reede, und für Bedenken war jetzt keine Zeit. »Die künstliche Intelligenz, die das Sibyllennetz steuert – die gesamte Datenbank und das Programm, das den Speicher überwacht –, befinden sich hier, unter Karbunkel.«
Tammis starrte ihn an. »Woher wissen Sie das? Ich dachte, der Ort wäre keinem bekannt.«
»Deine Mutter kennt ihn, und Gundhalinu kennt ihn; ich weiß Bescheid, weil ich ihn selbst aussuchte.«
Tammis lachte skeptisch. »Das Sibyllennetz existiert schon seit Tausenden von Jahren; selbst die Schneekönigin wurde nicht so alt.«
»Ich bin nicht nur irgend jemand, der Kullervo heißt; in meiner Persönlichkeit steckt noch mehr. Mein Name war – ist Vanamoinen. Der richtige Vanamoinen starb schon vor langer Zeit; ich bin
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