Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
der nichts mehr existieren konnte.
Jede Initiationsstätte auf sämtlichen Welten würde sich in ein faulendes Geschwür verwandeln, das Erbe des Alten Imperiums würde zu einem Fluch, der in die Zeit hinaufreichte und mit seinem Todesatem die Zivilisationen zerstörte. Jede Sibylle würde den Verstand verlieren und sterben, weil das Technovirus in ihrem Blut mutierte ...
Deshalb hatte SIE IHREN freien Willen, IHRE Ressourcen und IHREN Einfluß dazu benutzt, um die lebendigen, atmenden Werkzeuge zu schaffen, die SIE eventuell retten konnten. Die Saatkörner IHRER Seele hatte sie in die Winde der meßbaren Zeit gestreut, darüber gewacht, wie sie aufgingen und Früchte trugen, und sie dann mit den IHR zur Verfügung stehenden Mitteln verpflanzt.
Jetzt war der Augenblick gekommen, auf den SIE. Mit all IHREN geschwächten Energien hingearbeitet hatte. SIE hatte die Reinkarnation Vanamoinens ins Leben gerufen, SIE hatte ihn hierhergebracht, und ihm hilfreiche Hände und gleichgesinnte Seelen zur Seite gestellt, die SIE zu seiner Unterstützung geschaffen hatte. SIE hatte alles in IHRER Macht stehende getan, wenn IHRE menschlichen Werkzeuge versagten, würde der Kontakt zu ihnen abbrechen, sie könnten sich weder mit IHR noch untereinander verständigen, das Ende des Sibyllennetzes wäre gekommen.
Nun war der richtige, der einzige und der letzte Zeitpunkt, an dem IHRE Zerstörer zu Heilern werden und dem Tod trotzen konnten. SIE konzentrierte sich und zog mit IHREM Willen, der so unentrinnbar war wie die Schwerkraft, die zerstreuten Splitter IHRES Bewußtseins zusammen; SIE sammelte sie in der physischen Matrix IHRES Zentrums, wo das Smartmatter-Plasma rastlos brodelte. SIE spürte die glühende Hitze seiner wüsten Fieberträume, die mehr und mehr Irrtümer und falsche Angaben in das Netz einspeisten; SIE sah die sich verbreitende Krankheit des Abdriftens, die außer Kontrolle geraten war, weil die Mers ihre Gesänge nicht mehr miteinander verspinnen und das Gleichgewicht aufrechterhalten konnten. All diese Dinge hatte SIE gesehen, SIE wußte Bescheid. Und jetzt wartete SIE darauf, daß eine Änderung eintrat.
Reede sank durch das schwarze Wasser, gnadenlos hinuntergezogen von verborgenen Strömungen; seit er den Halt verloren hatte und in die Tiefe gestürzt war, gellte sein Schrei in seinen Ohren. Der Aufprall hätte ihn um ein Haar getötet; doch in der Umarmung des Meeres fühlte er sich beinahe geborgen, wie wenn er außerhalb jeder Furcht stünde, und er hatte nur noch Emotionen, für die er keine Namen kannte.
Im Licht seiner Helmlampe sah er die schwarzen, amorphen Wände des Schachts und Tammis Dawntreader, der in seinem Tauchanzug durch den hellen Strahl driftete; ab und an flackerte der Schein von seiner eigenen Helmlampe auf. Doch da war noch ein anderes, unbeschreibliches Licht, das er weniger mit den Augen, sondern hauptsächlich mit seinem Körper wahrnahm: sonderbare Strahlen strömten in sein Gehirn, ohne den Weg über seine Pupillen zu nehmen. Dasselbe Licht hatte er aus der Grube quellen sehen; doch erst jetzt wurde ihm klar, daß er es nicht mit seinen Augen geschaut hatte. Die Vision jenes ANDEREN sah es – es war Vanamoinen, der die Umgebung mit den Augen eines Sibyl wahrnahm, und ihm die Weite des Raums enthüllte, durch den sie trieben.
Abrupt änderte sich die Unterwasserströmung; er wurde umhergewirbelt und nach unten gesogen; voller Panik merkte er, daß er die Richtung änderte. Dann ließ er sich einfach vom Strom mitreißen und schonte seine schwindenden Kräfte.
Alles hat seine Richtigkeit,
flüsterte der ANDERE ihm beharrlich zu;
genauso muß es sein.
»Was ist passiert?« Zu seiner Überraschung hörte er Tammis' Stimme aus dem Helmlautsprecher.
»Wir haben uns in den Kanal eingefädelt.« Gehorsam, wie die Marionette, die er ja war, sprach er die Worte aus, die der ANDERE ihm in den Mund legte. Jetzt hatte er keine Illusionen mehr; endlich begriff er, wieso er am Leben geblieben war, obwohl er seine Existenz haßte und sich verzweifelt den Tod wünschte. Er wußte, wer ihn besessen am Leben gehalten hatte, bis sie an diesem einzigartigen Ort angelangt waren, wo über die Zukunft entschieden wurde. Wenigstens kannte er jetzt den Grund ... »Dies ist der Tunnel, durch den Meerwasser in die Höhlen unter der Stadt strömt.«
»Welche Höhlen?« Im Helm hörte sich Tammis' Stimme unheimlich an.
»Wir trieben sie in den Fels, auf dem wir dann Karbunkel bauten. Sieh mal nach
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