Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
hieß; ein elektrischer Strom durchzuckte seine Arme, seinen Körper und sein Hirn. Er stöhnte auf und verlor um ein Haar den Kontakt mit der Wand, weil der Schock seine degenerierenden Nervenenden wie in einem flüssigen Feuer verbrannte.
Mit äußerster Willensanstrengung hielt er die Hände an den Fels gepreßt und wartete, daß der Computer seine Identität anhand der Gehirnströme bestätigte. Der Raum hinter seinen Augen füllte sich plötzlich mit einer Flut von Daten, die durch seinen Kopf blitzten, als der Computer seine Sicherungssperre löste und ihm Zugang zu dem originalen Operationssystem gewährte, das er und Ilmarinen gemeinsam entworfen hatten.
Ilmarinen.
Ein Gefühl von Einsamkeit, Verlust und Schmerz übermannte ihn, während er über den Abgrund der Zeit blickte, der ihn von Ilmarinens Leben und Tod – und von seinem eigenen Tod trennte. Resolut redete er sich ein, daß diese Emotionen Einbildung waren, Phantome, die ihm nichts nützten, sondern ihn nur bei seiner Arbeit behinderten. Reede Kullervos Qualen hatten ihn kaltgelassen; jetzt mußte er hart mit sich selbst sein. Auf den Erfolg kam es an.
Von neuem konzentrierte er sich auf die Daten in seinem Kopf; nüchtern, nur den Verdruß eines Computertechnikers empfindend, der feststellt, daß er sich selbst ausmanövriert hat. Er stellte Fragen, prüfte und verglich; sein Gehirn glitt in einen Zustand hinein, in dem nichts mehr existierte außer dem unverfälschten Plan. Sein Verstand hob sich auf die äußerste Realität der Kommunikation, bewegte sich in Algorithmen und Prozessoren – in allgemeingültigen Wahrheiten, die unberührt blieben vom Fluß der Zeit, von menschlichen Schwächen und der Rastlosigkeit einer künstlichen Intelligenz, die nur in einem einzigen Universum Gültigkeit hatte. Daten sammelnd, verarbeitete er sie mit den unzulänglichen Fähigkeiten seines menschlichen Verstands; er war dankbar, daß Kullervo eine angeborene mathematische Begabung besaß, die ihm jetzt half, doch er verfluchte seinen drogenverseuchten, geschwächten Körper.
Stunden vergingen in diesem zeitgebundenen Jetzt, während es in der Singularität des Sibyllennetzes keine Zeitmessung gab; unterdessen vermaß er die Geschwindigkeit, mit der der Geist des Nexus in das kosmische Meer abdriftete. Er dachte an das Stardrive-Plasma, das im Herzen von World's End ruhte, und wie sich sein Kollaps auf die Umgebung ausgewirkt hatte; er entsann sich, wie sie sein Leiden beendet hatten – er und Gundhalinu.
Nie hätte er sich vorgestellt, daß ein Mann wie Gundhalinu alles wegwerfen, gegen sein eigenes Volk und gegen die Regeln, mit denen er großgeworden war, rebellieren würde ... und das aus einer Leidenschaft heraus – denn seine Passion für die Sommerkönigin und sein Engagement für ein höheres Ziel hatten ihn zu seiner Handlungsweise getrieben.
Ilmarinen,
dachte er wieder. Denn Ilmarinens Elan und Mitgefühl hatten zur Schaffung dieses Sibyllen-Systems geführt. Ohne seine visionäre Phantasie hätte er die Notwendigkeit einer solchen Einrichtung nie begriffen. Er selbst war immer ein Techniker gewesen, der sich besser mit Maschinen als mit Menschen auskannte, und der sich im Labyrinth der theoretischen Gedankengänge verlor. Aber Ilmarinens entwaffnende Menschlichkeit hatte ihn aus seinen Verstecken hervorgelockt und ihn erst richtig leben lassen. Sie waren Gegensätze gewesen, die einander anzogen, und gemeinsam waren sie stärker als allein.
Ilmarinen war nicht mit ihm am Feuersee gewesen – aber Gundhalinu. Jetzt dämmerte ihm, daß der Sibyllenverstand in Gundhalinu eine Tiefgründigkeit entdeckt hatte, für die Reede Kullervo blind gewesen war. Doch obwohl er Gundhalinu durch die Augen des paranoiden Kullervo sah, hatte er sich von Anfang an zu ihm hingezogen gefühlt. Vanamoinens Seite in ihm spürte etwas von Ilmarinens stillem Feuer in Gundhalinu. Gundhalinu hatte ihm Halt und Trost gegeben – und seltsamerweise sogar den argwöhnischen, verängstigten Kullervo stabilisiert.
Er fragte sich, wo Gundhalinu jetzt stecken mochte, was die Survey-Loge wohl mit ihm angefangen hatte; noch immer staunte er, zu welchem Sumpf aus Täuschung und Lügen sich der Survey – von der Institution, wie er sie einst kannte – entwickelt hatte ... Doch trotz der vielen Cliquen, die alle ihre eigenen Ziele verfolgten, hatte das Große Spiel ihn an seinen Bestimmungsort befördert. Mitglieder des Survey hatten geschworen, dem Sibyllennetz zu dienen, und
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