Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
sterben ...« Gundhalinu lächelte freundlich, während Wybenalle zu den Toiletten eilte. »Stimmt's, Vhanu?« Er sah seinen Polizeikommandanten an, und sein Grinsen wurde breiter.
Vhanu zog eine Grimasse. »Finden Sie, daß Sie klug gehandelt haben?« fragte er auf Sandhi.
»Nein.« Gundhalinu schüttelte den Kopf, doch er hörte nicht auf zu lächeln. »Und es war auch nicht sehr nett. Aber bei allen meinen heiligen Ahnen, in den letzten Wochen hat dieser Mann mir genug Kummer für ein ganzes Leben bereitet. Da habe ich mir gestattet, ein bißchen gemein zu sein.« Er zuckte die Achseln und merkte, wie verkrampft seine Muskeln waren. Aus der Gürteltasche holte er den Scanner. »Ich habe hier ein paar Daten, die Sie für mich überprüfen sollen, NR.«
Vhanu zückte seinen eigenen Scanner und kopierte die Angaben, die Gundhalinu der Phiole entnommen hatte. »Morgen abend dürfte die Analyse fertig sein. Ist das früh genug?«
»Auf jeden Fall.« Gundhalinu nickte. »Es ist nicht eilig«, beantwortete er Vhanus unausgesprochene Frage. »Ich interessiere mich nur für einen der Gegenstände, die auf dem Kaminsims dort drüben stehen.« Während er in die Richtung deutete, schaute er zu dem Torbogen hin, durch den der Ondineaner verschwunden war. Er wußte nicht, wieso er Vhanu nicht mehr verriet; fürchtete er sich, sein Verdacht könne absurd klingen, oder steckte mehr dahinter? Vielleicht sah er morgen vieles klarer.
Vhanu blickte hoch, als Kitaro zu ihnen kam. »Entschuldigen Sie,
Sathranu«,
sagte sie. »Im Obergeschoß beginnt gleich das
Tanspiel –
möchten Sie auch mitmachen?«
Gundhalinu nickte.
»Tan?«
wiederholte jemand hinter ihnen. »Darf ich auch mitspielen?
Kitaro schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, aber die Runde ist bereits komplett. Beim nächsten Mal vielleicht ...« Der Mann zuckte die Achseln und entfernte sich.
Sie folgten Kitaro in den rückwärtigen Teil der Halle und dann eine Wendeltreppe hinauf. In der zweiten Etage betraten sie das Spielzimmer, wo fünf Personen bereits auf sie warteten; im Schneidersitz hockten sie auf Fußbodenmatten um das runde Spielbrett. Gundhalinu betrachtete das komplizierte geometrische Muster. Das Brett, eine Intarsienarbeit aus perfekt eingepaßten farbigen Holzstückchen, stammte von Tsieh-pun. Die Handwerkskunst bewundernd, nahm er auf dem Boden Platz. Vhanu setzte sich ihm gegenüber; nachdem Kitaro die Tür geschlossen hatte, hockte sie sich mit überkreuzten Beinen an seine linke Seite. Jeder, der durch das einzige Fenster des Zimmers spähte, mußte annehmen, daß ein Tanspiel im Gange war.
Doch in Wahrheit taten sie etwas ganz anderes; in diesem privaten Gemach in der Survey-Halle wurde manipuliert und intrigiert; man spielte das Große Spiel, in das nur wenige Auserwählte eingeweiht waren. Gundhalinu blickte sich in dem Kreis um; er kannte alle Anwesenden, die bis auf eine Ausnahme Kharemoughis waren. Der Außenseiter war ein Geschäftsmann von Nummer Vier; Kitaro war die einzige Frau, und außer ihm die einzige Sibylle in dieser Runde.
Wieder betrachtete er das Tanbrett, die Spielsteine aus buntglitzernden Kristallen, die beinahe hypnotisch wirkenden Muster aus Holz. Die verzwickte Geometrie des Bretts war ineinander verschachtelt und wies unzählige Feinheiten auf; um den siebenten und den vierzehnten Grad in der Loge zu erreichen, hatte er lernen müssen, diese Vexierrätsel zu entschlüsseln ... und erst beim zweiten Mal entdeckte er, was ihm beim ersten Mal alles verborgen geblieben war. Hinterher hatte er sich über seine eigene Blindheit gewundert.
Tan
war angeblich so alt wie das Große Spiel selbst, wenn nicht noch älter. Es gab ein komplettes Adhani des zwölften Grades, das aufgebaut war wie ein Tanbrett und einem mystischen genetischen Code glich. Teile des numerischen Symbolismus bezogen sich auf Muster, die in der realen Welt wiederkehrten; manches blieb ihm völlig unverständlich, obwohl es in sich schlüssig schien. Mitunter gemahnten ihn Dinge an abergläubischen Hokuspokus – bis jetzt. Vielleicht mußte er noch einmal das Tanspiel studieren, um auf seinem Weg zur Erkenntnis in einen höheren Grad eingeführt zu werden. Möglicherweise sah er dann die Komplexität des menschlichen Schicksals klarer; das ständig auf der schmalen Trennlinie zwischen Ordnung und Chaos balancierte.
Kitaro nahm die funkelnden bunten Spielsteine und warf sie lässig auf das Brett, während sie die Rolle der Fragestellerin übernahm und
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